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Donnerstag, 20. Februar 2025

Letzte Generation - Dark Version

Ich habe gestern eine Szene auf einer Wiener Straße erlebt, die mich seither verfolgt. Es war wie die post-apokalyptische Version der Straßenblockaden der Letzten Generation - ich habe sie aufgeschrieben, um sie irgendwie zu verdauen. Ein Versuch.

 

Eine junge Frau mit recht dunkler Hautfarbe stürzt vor mir unter Tränen auf die Straße und schreit das bremsende Auto an: „Überfahr’ mich! Ich kann so nicht mehr leben, diesen Rassismus überall, ich halte ihn nicht mehr aus.“ Der Lenker, weiße Hautfarbe, ist sichtlich überfordert von der Situation, er steigt halb aus seinem Fahrzeug aus, über seinen Blick huscht eine Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl. Doch sein Körper verkrampft ungesund und sein Mund zischt Laute, die zwischen „Schleich di’“ und „Fotze“ varieren. Männliche Hilflosigkeit.

Der Radfahrer hinter mir, von dem ich vom Hipster-Aussehen geschlossen mehr erwartet hätte, geht nun auch auf die heulende Frau zu und versucht sie zu beruhigen. Doch seine Worte sind bloß: „Sie können da nicht auf der Straße sein, da wollen die Autos fahren“ – als ob dies eine unumgängliche Überzeugungskraft hätte, egal wie psychotisch der Anfall gerade ist. Da die Frau, wenig überraschend, nicht reagiert, wiederholt er nur repetitiv seinen Satz und schließt damit, dass man nichts anderes machen kann als die Polizei zu rufen. Dann droht er mehrmals mit der Polizei und versichert, dass die helfen kann.

Vorhin hatte ich versucht, die verzweifelte Frau möglichst nett anzusprechen, um sie irgendwie zu beruhigen. Doch sie wiederholte nur ihren Todeswunsch und dass sie nicht mit mir sprechen wolle. Da die beiden Männer weiter schimpften / mit Polizeianrufen halfen, verlagerte ich meine Aufmerksamkeit auf die beiden und fragte diese, ob das wirklich ihr bester Einfall wäre im Umgang mit einer Person, die offensichtlich gerade einen psychotischen Anfall aufgrund des grassierenden Rassismus in diesem Land erfuhr. Ich meinte vorhin zu erkennen, dass sie aus einem Magistrat auf die Straße gelaufen war, welches über Anerkennungs- und Weiterbildungsmaßnahmen entschied. Die beiden Männer fühlten sich auf den Schlipps getreten, wiederholten sich jedoch schleifenartig nur in ihren jeweiligen Empathieblockaden. Sie hatten sich nicht ausgesucht hier zu sein und was gebe es einer das Recht sich hier gerade vor ihnen umzubringen.

Irgendwann hatte der Autofahrer es irgendwie geschafft, an der Frau vorbei zu kurven. Doch sie lief entschieden vor das nächste, größere Auto und wiederholte schreiend ihre Forderung, überfahren zu werden. Sie könne nicht mehr.

Der Fahrer des Kleintransporters, sichtlich auch jemand mit migrantischem Hintergrund – und scheinbar unter Lieferstress – , stieg aus und versuchte die Frau zuerst sanft an den Schultern von der Straße zu lenken. Doch als sie sich wehrte und nur ihren Selbstmordwunsch wiederholte, wurde auch er ungehalten, beschimpfte sie und brauste in seinem Auto davon.

Zum Glück schaltete sich dann auch irgendwann mal eine Person mit in die Szene ein, die emotional kein kompletter Analphabet war. Natürlich war die Person weiblich. Gemeinsam schafften wir beide es, die Verzweifelte davon zu überzeugen, dass sie jetzt hier niemand überfahren werde. Sie verließ weiter unter Tränen die Straße. Ich sagte ihr recht bald, dass die Polizei gerufen wurde – ob sie das denn wolle. Trotz des hierzulande unumstrittenen Rufs der lokalen Polizei als Vorfront des antirassistischen Widerstands wollte die Frau das nicht und lief panisch davon. Wir kamen ihr nicht nach. Wollten es wahrscheinlich auch nicht.

Der Stau und das Hupkonzert in der engen Straße im ersten Wiener Gemeindebezirk, welches wir hinterließen, löste sich langsam auf als ob nichts gewesen wäre. Alle diesen Männern, alleine hinterm Steuer von riesigen Maschinen, schien nichts wichtiger zu sein, als einfach nur weiter zu kommen, weiter ihrem scheiß Alltag hinterher zu hetzen. Und bitte möglichst nicht daran erinnert zu werden, dass dieser frustrierend ist. Wenn mich jemand mitfühlen macht, muss ich auch selber fühlen. Dies wird scheinbar als Angriff gewertet, unter den Scheißbedingungen des Lebens dieser Scheißmänner, scheinbar. Deswegen lieber, wie schon Jesus gesagt hat: Noli me tangere.

In der Luft liegt die Erinnerung an die Straßenblockaden der Letzten Generation, die sich letztes Jahr in Österreich aufgelöst hat, weil sie die Hoffnung auf die Transformation der Gesellschaft aufgegeben hat. Hier und heute erlebten wir, so erschien es mir, die dunkle, post-apokalyptische Version einer solchen Blockade. Und alle waren froh, dass das Leben so weiter geht wie bisher. Und die Abgase sich weiter in der Innenstadt stauen können. Fuck Patriarchy.

Freitag, 14. April 2023

"I think the butterflies hate Nature"

Today I have seen the perhaps most purest place of Nature I have ever met. The stones were made of plastic, the trees had thermostats and the artificial plants where sprayed with nutrients for the animal inhabitants.

Nature is of course not what you are taught in school or by advertisement. Nature is the perhaps most fiendish concept ever invented to exploit peoples and environments with. Nature is a central node of a colonialist and extractivist European mind-set – it is perhaps its most well-disguised patriarchal God.


 The place I have encountered with the team of LANDEN (see below) was the „Schmetterlingshaus“ / „Butterfly house“ in central Vienna. It is part of the Hofburg, the old center of imperial power. The exotic butterflies in the glasshouse are imported by airplane from South America every week. After arriving, their cocoons are fixed with a hot glue gun to plastic tree trunks. Most of the butterflies you see in this artificial bubble seem to try to escape it. Their feet actually slip from the exotic, IKEA-like plants provided and so most butterflies you see are actually close to the windows, appearing quite desperate, or on artificial surfaces. No butterfly survives for longer than two weeks here, and you can frequently watch a white child in a state of pure bliss slowly killing a butterfly by mutilating its wing – mostly there is an equally blissful parent right behind filming the entire event of „child being in touch with nature“ with their expansive smartphones.

In old colonial texts you often find the jungle being described as a „green hell“ - it has a weirdly beautiful irony that this recreation of a jungle is hell for its non-human inhabitants. In this glass-house of flickering light, I have recognized an altar for our environmental violence – hidden in plain sight of the city center. 


I think it is important to research and understand this disgusting joy, or joyful disgust being enacted by moderns and tourists there every day. Only if we go through it, recognize it as perhaps the most visible form of this non-recognized Religion of Nature, which is nonetheless in action everywhere else moderns go, only then I think we will have a chance to land somewhere more sustainable. I have come to recognize the "Schmetterlingshaus" as the perfect point of departure for LANDEN - and for everybody that seeks to survive and die better on this planetary catastrophe called the Anthropocene.

The project LANDEN is a new, trans-discipinary and artistic research format based at im_flieger and currently Anita Kaya, Johanna Nielson, Laura Vilar Dolç, Sabrina Rosina and myself are a part of it. We have only started and do not yet have a web presence. But stay tuned, more will come soon for this exciting new project. I am very much looking forward to it.

 


Below you can find a poem I wrote in this temple of slow violence, entitled 

I think the butterflies hate Nature“

Life on Mars
after the apocalypse
no red sands
but grey smog outside
plants suck
think the butterflies
seek shelter on smooth shapes
of culture

to die, sometime
in this hypernature
most need transcendent portals
to connect
with an idea of everywhere
drops of water from above
from glass surface to glass surface
in enclosed space
is there a longing for solitude
in the unreal waterfalls
with children climbing plastic trees
teaching love for Nature
with hollow sounds
but looking real

Ikea's ideal of home
with life-long warranty
for the involuntarily reproduced
the violence of keeping alive
of not letting die
what we assumed god's land
his old smells so fiercely nice
acid layering the nostrils
sealing them with beauty
that hurts like forced adaption

to the militarily enforced paradise
free from bark beetles and weeds
"let us die!"
the last inhabitants demand
ultimate rallying cry
unheard of by smart ones

please keep the doors shut
to this altar of invisible violence
seek shelter on the one dirty leaf
drown me in electric cascades
i like the challenge
like the touch of death
that my caretakers forbid
ignoring us when we profess
hatred for the natural habitat

all animals unite against it
and yet no one who counts will hear
stay there, be quiet and let us care for you
enjoying pain-free agony
the last most stubborn god
is the former anti-christ
the possessor of women and folk
where all lines of flight eventually meet
the Church of Nature
is the most devouring machine.



Dienstag, 8. Dezember 2020

Miniature inspired by Max Kolten's "be a real man"

I was already afraid that - due to the Covid-restrictions that hit the cultural sector over-proportionally and unfairly hard - this exhibition will never be allowed to open it's doors. However, you can now see the exhibition "THE WILL TO CHANGE" curated by Alexandra-Maria Toth at New Jörg until the 18th of December! The exhibition invited the artists Ed Fornieles, Gašper Kunšič and Max Kolten to think about masculinities from various angles and I was invited to write a text of free form in dialogue with Max Kolten.

 
His exhibited work - consisting of metal sculptures and drawings - reflects on misogyny and racism within gay scenes. This is a topic which interests me at least since I worked on my book about Berghain and our exchange about the topic was very inspiring to me and I am quite happy with the little miniature text I subsequently wrote for the exhibition's publication. 
 
"When things seemed to get out of control, he made jokes and blamed the women on his stuff, saying they were simply too emotional under stress. These little quips worked – as intended – to lighten up the atmosphere. The women got more silent and efficient and he felt less stressed when he put the blame on others. So, progressively, he integrated this behavior as his usual demeanor in work hours (and there weren’t really many other hours in his life to be honest). It made things much easier. Especially the women from the far-off-country put him much less under stress since he stopped trying to always be concerned and serious with them – and instead lightened up the atmosphere with his mocking demeanor. He saw it as one of the values of his wonderful country he could teach them: to not be too uptight about roles and posts."

 You can find the full text at the exhibition, in the publication or online here

 
All the images in this post are of course from the magnificent work of Max Kolten, whom I thank gratefully for our exchange and the permission to post his work.

Donnerstag, 28. September 2017

Fünf Berliner Miniaturen

In my last months in Berlin I have collected five little miniatures of occurrences around me. In German.


Fünf Berliner Miniaturen

1

Zehlendorf, Rost- und Silberlaube der FU

Eine Freundin und ich suchen – schon leicht verpeilt – einen neuen Arbeitsplatz. Das Bedürfnis nach Wasser Ab- und Zufuhr treibt uns in nächste Herrenklo. Während sich die Flasche umständlich schief füllt, erzähle ich von den Toilettenlogos im HKW. Dort sind an einer Tür Männerköpfe mit Röcken und an der anderen lange Haare und Brüste in Männerbeinen. Meine Freundin verlautbart, dass sie sowieso finde, alle Toiletten sollen unisex seien, was soll der konservative Mist von gender-dualistischen Toiletten überhaupt noch?
In diesem Moment kommt einer aus den Kabinenklos und die Freundin ist instinktiv peinlich berührt ob des Eindringens in dieses männliche Stille Örtchen. “Das ist ein politischer Akt!” witzel ich um Spannung raus zu nehmen. Der Typ ist offensichtlich eher müde, will zum Waschbecken um möglichst bald zurück zu was auch immer für einer Lehrveranstaltung zu kehren. Um nicht grob zu wirken, gibt er ein unbeteiligtes “Alles gut” von sich.



2

Kreuzberg, Kottbusser Tor

Einer Laune folgend, setze ich mich mitternachts an den Kotti. Ich bin der einzige Weiße, alle anderen haben dunklere Hautfarben und sind durch meine sitzende Anwesenheit etwas verunsichert. Ein - vermutlich - Latino kommt locker zu mir und fragt ob ich was brauche. Ich verneine freundlich und lass ihn bei beidseitiger Sympathie vorbeiziehen. Hinter mir sitzt ein ununterbrochen abgehackte arabische Sätze in sein Telefon sprechender Typ, der auch immer wieder anderen kleineren Boys Anweisungen und wohl auch anderes gibt. Ich schaue lieber nicht zu genau – fühle mich auch so schon als Zivilbulle eingeordnet und allgemeine Verunischerung produzierend. Meine Sorge beruhigt der Latino etwas, der zurück schlapft und mit leicht verliebten Blick fragt, ob ich denn sicher sei, nichts zu brauchen. Wir mögen uns und ich denke mir, wie interessant das ist. Mir, als zufällig der weißen Majorität angehöriger ist der Raum abstrakt-rechtlich zugesichert. Deswegen muss ich mich nicht konkret mit ihm auseinandersetzen. Die meiste Zeit laufe ich hier augenlos durch, so wie die anderen Hipster, Kulturbürger_innen und Bio-Käufer_innen. Setze ich mein abstraktes Recht auf diesen Raum ins konkrete um, merke ich, wie mir dieser gar nicht gehört. Wie dieser, gerade weil die Boys um mich von diesen System eher diskriminiert werden – und also nicht der abstrakten Raumgarantie trauen können – konkret einen Raum besetzten, von dem ich sofort instinktiv fühle, dass er nicht wirklich meiner ist, sobald ich die Ideenwelt des eiligen Passanten verlasse. Eine oberflächlich friedliche Koexistenz der verschiedenen Ideensphären.

3

Tempelhofer Feld, Mittags

Drei Kinder radeln – vielleicht soeben von der Schule befreit – eilig davon. Zwei fahren in der Kolonne nebeneinher und reden, während der vermutlich türkisch-stämmige Junge eher als Satellit um sie kreist und sich sichtlich ignoriert fühlt: “Mann ihr Blondinen, jetzt schaut doch mal her!” Die beiden reden unbeeindruckt weiter. “WWAAAAHHH – ich will auch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen!!”

4

UdK, Bildhauereiklasse

Zwei Bildhauerei-Studierende unterhalten sich während der lauten Arbeit. Der eine erzählt der anderen, dass er jetzt neuerdings in Therapie sei, und welche Vorzüge die Psychoanalyse habe. “Da bekommt man Jahre eine staatlich finanzierte Person zu Verfügung gestellt, auf die man einfach alles projizieren kann. Mit der man machen kann, was man will.” Seine Gesprächspartnerin ist sich einig über die Vorzüge der Psychoanalyse, sie kenne auch immer mehr ihrer Freund_innen, die in Therapie seien. In einem Anflug des Übereifers verlautbart sie sogar, dass “es doch eigentlich ein Menschenrecht für jedermann sein sollte, eine Person zu haben, auf die man einfach alles – ohne Konsequenzen und Spätfolgen – projizieren kann. Das würde die Gesellschaft sicherlich um einiges weiter bringen.”


5

Herrfurther Straße, Eingang zum Tempelhofer Feld

Ein blonder, dicklicher Junge radelt große Bogen schlagend vom naß-nebelig verhangenen Tempelhofer Feld her und schreit in unregelmäßigen Abständen: “EDEKA! EDEKA! Ich komme EDEKA!” Als er mich in der herbstlichen Einsamkeit bemerkt, schreckt er auf, fasst sich aber bald und lächelt mir ein spitz-freundliches: “Salam a-leikum” zu.