Donnerstag, 24. April 2014

mapping brain-capacity


I have written a little proposal of how brain-capacity could be mapped. It is a little attempt to use neuroscientific results productively for something that can be called philosophy. It was written in German and in less than five hours, to meet the given requirements, which I don't feel like specifying on this blog at the moment.

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Kartographierung der Gehirnkapazitäten

Hinführung
Ein Umstand, der mich schon lange in seinen Bann zieht - und mit dem ich viele Probleme hatte, ihn zu akzeptieren - ist, dass das Gehirn ermüden kann. Das Gehirn - Sitz oder Zweiname1 unseres Geistes - ist keine in überirdischen Sphären schwebende Entität mit unendlicher Kapazität. Es ist ein Organ wie jedes andere und kann wie der Oberschenkelmuskel nach einem Marathonlauf ermüden.
Da vielleicht eine der grundlegendsten Erkenntnisse der Neuzeit jene ist, dass auch das Denken in rein stofflichen Prozessen abläuft, wird man nicht umhinkommen, den Begriff des "Denken" und die ihm nahe verwandten der "Vernunft", aber auch den der "Reflexion", der "Wahrheit", "Logik" oder "Kohärenz" neu zu formulieren.

Erläutern wie diese einleitenden, großspurigen Worte am Fall des Problemlösens und ziehen als unfehlbares Exempel des kanonischen Menon-Dialog von Platon herbei. In diesem löst ein Sklave - mit der Hilfe Sokrates' - das Problem der Quadratur eines Quaders. Der Sklave wusste davor nichts von Grundmathematik und musste sich die Lösungsstrategie selbst erarbeiten. Nach gefundener Lösung erklärt Platon/Sokrates diesen Vorgang als eine Anamnesis - einer Wiedererinnerung. Der Sklave musste seinen Geist also irgendwie aus der irdischen Welt in eine ewig wahre Ideenwelt erhoben haben und von dort die Lösung zurück gebracht (=wiedererinnert) haben. Dieses Motiv ist prägend für die abendländische Kultur in den folgenden zwei Millennia. Die Lösung eines Problems findet sich in einem überirdischen, unstofflichen Himmel, der die diesseitige Welt mit Wahrheit ausleuchtet. Denken bestand also im Wesentlichen darin, sich von der Stofflichkeit loszulösen - das Lösen eines Problems setzte die Entfremdung von der realen stofflichen Grundbedingung des Menschen voraus.
So dachte man - zumindest im intellektuellen Mainstream des Abendlandes - für 2000 Jahre. Aus einer Vielzahl von Gründen - wobei hier vielleicht nur die Beschleunigung und Vermehrung von Input/Minute erwähnt werden soll - sieht sich der Mensch aber seit spätestens Nietzsche wieder mit der Stofflichkeit seines Denkens konfrontiert: man erkennt zusehends, dass das Denken von physio-biologischen Prozessen abhängig, vielleicht sogar mit ihnen gleichzusetzen ist - das vieldiskutierte Phänomen der Neuroscience ist nur die gegenwärtige Eisbergspitze dieser epochemachenden Erkenntnis.
Diese hat selbstverständlich weittragende Konsequenzen für unseren Begriff des Problemlösens - als anschaulicherer Begriffs-Stellvertreter für das "Denken". In einem Zeit-Artikel vom 6. Dezember 2010 wird vom Serendipity-Prinzip des amerikanischen Soziologen Robert K. Merton und der neurologischen Forschung in der Nachfolge von Marcus Raichle, der mit Kernspintomografie die Gehirnaktivitäten während Problembewältigungen untersucht hat, berichtet2. Demnach besteht die effektivste Problemlösungsstrategie nicht darin, sich an einen Schreibtisch zu setzen und krampfhaft an dem Problem zu arbeiten, bis man die Lösung gefunden hat. Viel produktiver soll es sein, sich mit dem Problem so lange intensiv zu beschäftigen, wie es - im weiteren Sinne - Spaß macht. Wenn man dann bemerkt, dass man ermüdet - die Gedanken abdriftet, soll man sein Gehirn nicht dazu zwingen, weiter aktiv über die Lösung nachzudenken. Stattdessen soll man sich vom Schreibtisch loslösen, aufstehen und sich mit anderen Dingen des Lebens beschäftigen, die einem gerade Spaß machen: sagen wir, einen Spaziergang zu machen. Unser Gehirn ist nämlich - so das Ergebnis jener Forschungen - in dieser leissure time mitnichten unaktiv. Vielmehr berichtet der Zeit-Artikel, dass ein Großteil der Lösungsvorgänge im unbewussten, umherschweifenden Denken passieren. "Die vorbewussten, intuitiven Netzwerke in Ihrer Großhirnrinde erledigen den Job für Sie" wird der Hirnforscher Gerhard Roth zitiert.
Unbestrittener Weise benötigt man zum Problemlösen vorrangig Kreativität. "[D]as bewusste Denken folgt oft [aber] nur den bekannten, ausgetretenen Pfaden. Wer allzu verbissen nach der Lösung sucht, würgt häufig seine Kreativität regelrecht ab."
Die effektivste Strategie zur Lösung eines Problems besteht demnach also darin, sich eine Zeit lang intensiv und bewusst mit dem vorliegenden Problem zu beschäftigen, die Entscheidung aber zu vertagen: das Gehirn arbeitet nach diesen aktiven und bewussten Denkanstößen automatisch weiter und löst das Problem von alleine für einen.
Dieses Konzept von Problemlösen ist diametral jenem entgegengesetzt, was wir in Platons Menon veranschaulicht haben. Um ein Problem zu lösen, geht es nicht darum, sich von allem Stofflichen zu befreien und in aktiv in die überirdische Sphäre der Wahrheit vorzudringen. Vielmehr empfiehlt sich - nach einem kurzen, intensiven Hochsteigen in die bewusste Reflexion - eine Rückbesinnung auf die Stofflichkeit - ein Vertrauen in die Stofflichkeit: Vertrauen darauf, dass das Gehirn das Problem schon alleine bewältigen wird. Die neurologischen Ergebnisse Ulrich Schnabels implizieren, dass ein aktives Überlegen zu einem gewissen Zeitpunkt von produktiv zu kontraproduktiv umschlägt: von da an behindert man seine vorbewusste Großhirnrinde bei der selbstständigen Problembewältigung, versucht man etwas aktiv-bewusst dazu beisteuern.

Inhalt
Mit diesem radikal veränderten Verständnis von Denken müssen wir wohl erst lernen, umzugehen. Das Gehirn, Sitz des Denkens, scheint dem Magen ähnlicher zu sein, als wir lange dachten3. Wie der Magen nimmt das Gehirn schnell Inhalte auf, um diese dann aber zu speichern und erst langsam zu zersetzen - um somit die Stoffe, die gebraucht werden, zu extrahieren. Ein Inhalt - oder Input - den das Gehirn aufnimmt, wird von diesem viel länger bearbeitet, als wir uns dessen bewusst sind - im doppelten Sinne dieser Redewendung. Ein Großteil unserer Denkprozesse läuft also unbewusst ab - ein Umstand, mit dem sich auch erst die Moderne anfreunden konnte. Wenn wir also ein Problem zu bewältigen haben, sollten wir uns genau so verhalten, wie wenn wir Magenschmerzen haben: wir trinken einen Cognac oder Kräutertee und warten, bis er seine Wirkung tut und littern uns nicht so lange zu, bis die Beschwerden vergangen sind (da sie durch dieses Verhalten wohl eher zunehmen werden). Wir sollten uns also einem Problem - oder drücken wir es neutraler aus: einer Aufgabe - nähern und ein paar Happen davon durch unsere aktiven Gehirnwellen treiben. Dann sollten wir uns aber zurück lehnen - oder mit anderem beschäftigen und das Gehirn das Problem lösen lassen. Falls dies beim ersten Mal nicht klappt, nehmen wir noch einen Happen und sehen dann zu, ob uns beim nächsten Verdauungsspaziergang die Lösung einfällt.

An einem schnell gezeichneten Diagramm verdeutlicht: Die horizontale Achse symbolisiert den Bewusstheitsgrad beim Nachdenken über eine gegebene Problemstellung, die vertikale Achse symbolisiert die Zeit, die dabei vergeht. Am Anfang der Zeit wird mit einem Problem begonnen, am Ende des Zeitdiagramms ist die Lösung des Problems erreicht.
Wie ich versucht habe, in diesem Diagramm darzustellen, ist der Weg zur Lösung ein kürzerer = schneller, wenn das (blau ausgemalte) Nachdenken weiter nach links ins un- oder weniger bewusste abdriften darf, als wenn man es krampfhaft während des gesamten Lösungsfindungsprozesses im bewussten Bereich hält. (die Wellenlinien symbolisieren das natürliche Abdriften bei einer langen geistigen Anstrengung)


Was mich im Sinne der Aufgabenstellung an all diesem interessiert, ist eine Kartographierung dieser (wieder?)entdeckten Stofflichkeit des Denkens. Wenn wir Denken in der Folge meiner Ausführungen also modern auffassen, wie sieht dann der effektivste Zugang zur Arbeit und zum Denken aus?
Vielleicht waren die Probleme, die im antiken Menon zu lösen waren, noch hinreichend einfach, um in einem sit trough gelöst werden zu können. Unsere heutigen Anforderungen ans Denken und Lösen erfordern aber einen ganz anderen Zugang zum Kapazitätsmanagement unseres Gehirns. Man könnte es so ausdrücken: was mich interessiert, ist, eine Karte zu zeichnen, wie man am schnellsten durch die Stofflichkeit des Gehirns kommt, um ein Problem zu lösen. Lange Zeit wurden in platonistischer Tradition nur die aktiv-bewussten Gehirnareale als schnellste Wege empfohlen. Dies ist heutzutage allerdings obsolet geworden: die aktiv-bewussten Highways unseres Gehirns sind längst nicht alles, was zur Problembewältigung benötigt ist - die vielen kleinen Zubringerstraßen, das dichte, viel flexiblere Netz der kleinen Wege unserer vor- und unbewussten Großhirnrunde liefern erst das Material, das den Highway in Bewegung setzt.

Form, Medium
Unser Gehirn ist also stofflich und alles was stofflich ist, sollte sich auch kartographieren lassen. Allerdings wird nur in begrenzten Maße auf unsere bisherigen Kartographierungstechniken zurückzugreifen sein. Sloterdijk zeigt in seinem brillanten Weltinnenraum des Kapitals, dass die Kartographie ein wesentliches Machtmittel des abendländischen Westens war, dass die Machtergreifung über die Welt erst ermöglicht hat.4 Insofern muss man sich also wohl auch eingestehen, dass das Projekt einer Kartographie der Gehirnkapazitäten eine Machtergreifung über ein neues Territorium bedeutet, dessen Beherrschung noch unvorhersehbare Ergebnisse bringen wird.
Wie sollen wir aber diese Karte zeichnen? Mit der Macht welches Mediums wird sich diese Karte fabrizieren lassen? Es wird klar sein, dass diese Karte wohl nicht Platz finden wird auf den klassischen zweidimensionalen Blättern Papier auf die wir unsere Landschaftskarten drucken. Als Philosoph vielleicht vorbelastet, gehe ich immer noch davon aus, dass der Text die potenteste Fähigkeit zur Kartographie - im Sinne von Repräsentation - innehat. Der sprachphilosophische Verdacht des letzten Jahrhunderts, dass Sprache gleich Denken ist, verdeutlicht dies, auch wenn er über das Ziel hinausschießt. Wahrscheinlich wird das Medium dieser neuen Kartographie aber nicht der Text, sondern der Hypertext sein - also ein multimedialer Text, der angereichert mit Bild, Ton und Film schnell zwischen vielen Ebenen umherspringen kann - eine Art non-linearer Text also.

Konkreter
Um aber nicht nur in theoretischen Prognosen zu verweilen, möchte ich kurz noch zeigen, was auf einer solchen Karte interessant wäre zu verzeichnen.
Einerseits wäre sehr interessant herauszufinden, wie sich die Koexistenz von mehreren zu lösenden Problemen auswirkt. Es wird für ein Gehirn wohl kaum möglich sein, jemals sich mit nur einem Gedanken, einem Problem auseinanderzusetzen. Wie es aussieht, arbeitet unser Gehirn - zumindest im Vor- und Unterbewussten, meiner Überzeugung nach aber auch im Bewussten - immer an einer Vielzahl von Problemen gleichzeitig. Wie sieht aber die Beeinflussung zwischen verschiedenen Inhalten im selben Gehirn aus?
Zum Zeitpunkt 1 beginnt man über Problem 1 nachzudenken - man beginnt, wie es am besten ist, mit aktiven Überlegen und lässt es ins Vorbewusste abdriften (Zeitpunkt 4). Zu diesem Zeitpunkt beginnen wir aber über ein zweites Problem (aktiv) nachzudenken. Wie beeinflussen sich diese zwei Denkprozesse? Sind die zwei Ebenen, auf denen die Gedanken verfolgt werden, völlig unabhängig voneinander? Oder affizieren sie sich gegenseitig? In hindernder Natur oder in bestärkender Natur?

Ich nehme an, dass es dem Vor- und Unbewussten leichter ist, über mehrere Probleme gleichzeitig zu sinnieren. Wahrscheinlich gibt es da gewisse Probleme, die sich zu manch anderen symbiotisch, zu anderen parasitär verhalten. Also Probleme der Kategorie A befördern und stärken sich gegenseitig, während Probleme der Kategorie B sich behindernd und negativ auf jene der Kategorie A auswirken.
Allein eine Bestimmung dieser Kategorien - ihren Abhängigkeiten zu diversen Bedingungen, wie Müdigkeit, Stimmungslage, Nahrung, Tageszeit etc. - wäre ein riesiges Projekt.
Dann müsste man auch noch bestimmen, wie sich verschiedene Ebenen der Bewusstheit zueinander verhalten. Wieviele Inhalte sich gegenseitig befördern können, ab wann welches Gehirn überlastet ist. Was Überlastung ist und wie man sie am effektivsten abbaut. Woran erkenne ich Müdigkeit meines Gehirns? Betrifft sie alle Bereiche des Gehirns oder nur bestimmte Fähigkeiten? (Ist mein Gehirn also nur schreib-müde und könnte noch leicht und erfrischt mathematische Gleichungen lösen, oder betrifft die Möglichkeit alle Bereiche?)
Und zu guter letzt: da mein Gehirn stofflich wie mein Oberschenkel ist, sollte sich dieses auch genauso wie jener trainieren lassen. Intelligenz (im weiteren Sinne, nicht in jenem auf einen veralteten Logikbegriff reduzierten Sinne des IQ-Tests) ist also nicht (nur?) eine angeborene Fähigkeit, sondern eine Sache des Trainings. Genausowenig wie ein Läufer niemals ohne jahrelanges Training einen Marathon gewinnen würde, würde ein Denker jemals den Nobelpreis oder was-auch-sonst-für-eine-Leistung-man-als-groß-erachten-will ohne viel, viel Training erreichen. Eine hier angedachte Kartographierung der Gehirnkapazitäten könnte das Territorium zeigen, auf dem man Trainingspläne erstellen kann, anhand derer man das Intelektuellentum vielleicht ein bisschen unabhängiger von sozialer Klassenherkunft machen kann.

Meta-Karte?
Abschließend sei vielleicht noch gestanden, dass diese Ausführungen weniger eine Karte, als ein Konzept für eine zukünftige Karte sind. Das Erstellen einer solchen Karte wäre wohl ein Projekt, dass zumindest jahreslanges Einlesen in viel Forschungsmaterial und auch eine große Menge von experimenteller Forschung erfordern würde, die wohl von einer Einzelperson gar nicht machbar wäre.
Was Sie hier in den Händen haben, ist also weniger eine Kartographie, als eine Kartographie, die zu einer Kartographie hinführen könnte - eine Art Meta-Karte, die den Weg zu Neuem weist. Und voilà - hier hätten wir vielleicht die beste zeitgemäße Definition von Philosophie.



Kilian Jörg, 27/2/2014

1"Das Gehirn ist der Geist selbst." - S. 251 aus Deleuze, Gilles: Was ist Philosophie?. Suhrkamp: Frankfurt / Main 1996.
2vgl. im Folgenden: Schnabel, Ulrich: Vom geistreichen Nichtstun. zu finden in Die Zeit N° 49/2010 und auf http://www.zeit.de/2010/49/Geistreiches-Nichtstun/ (Abruf 27/2/2014)
3"Die Philosophen des Abendlandes waren lange Zeit jene, die nicht mit ihrem Magen zurecht kamen." - Arno Böhler in seiner Vorlesung "Das Fleisch der Immanenz" am 21/1/2014 im Hs 50 der Universität Wien.
4vgl. hierzu insbesondere Kapitel 18 "Die Zeichen der Entdecker - Über Kartographie und imperialen Namenszauber" in Sloterdijk, Peter: Der Weltinnenraum des Kapitals. Suhrkamp: Frankfurt / Main 2006.

Sonntag, 13. April 2014

In Time. In Time? Just In Time. Not In Time?

In-Time everybody will be a Hollywood-super model.
In-Time is a classical Hollywood blockbuster from 2011 made by Andrew Niccol (The Trueman Show) and starring Justin Timberlake in the main-role. Though it is a typical Hollywood-movie with all the clichés you can think of, it manages very well to take that aesthetic and it's all-time-the-same characters, stereotypes and twists and use it (I am somewhat reluctant to say against it self - but at least) very productively.
It is set in a future world in which death has been abolished thanks to gen-technology - every human grows until he reaches an age of 26. After that, he will stay in that state forever (causing a funny side-effect: every body - mothers in their 50ies, old men far beyond their 100th birthday, etc. looks like a super-model in their best years - way to solve that problem, Hollywood!) 
Or would stay forever. For this utopia of abolished death has of course one huge side-effect: massive over-population in no time. To get a grip on this problem, authorities were forced to equalize money and time. That is to say: time became the new currency. When you turn 26, a countdown of one year shows up on your forearm, counting down the time you have left to live. Rich people's kids instantly get a few hundred years transferred to their account, while the less privileged commence a stressful life in pursuit of some more time to live.
The world, in which In-Time is set, is divided into different zones of wealth. While in the slum zones people rarely have more wealth than they require to get through the next day, people in the rich zones have millennia on their ever-26-year-old forearms. So in the poorer zones you rarely see people sitting or strolling, because everybody is hurriedly running around in desperate pursuit of a few more minutes to live. Contrary to that, inhabitants of the rich zones deliberately move extra-slow and take hours to get through their fancy dinners, for it is a sign of wealth to take your time.
That portrayed future world is a free world - as is as often repeated as to enable even the least minded viewer to draw that parallel to the US. In this free world everybody is able to move around freely, to do as they please - in pursuit of happiness and a few more hours to live it with. But of course there is a catch: the borders of the zones are only passable for those, who are able to pay the toll. From the lowest zone to the next, it might be a day you'll have to spent - the higher you rise in the zones, the higher is the toll - resulting in the price of centuries to access the zone of the elite.
So - in theory everybody is able to go around freely as they please, in practice the poor people are constricted to their miserable slum zones like prisons, because nobody of the poor can afford the toll necessary to escape the slum. So the poor stay the poor, because with all the classical vicious circles and gang brutalities happening in their zone, plus the absence of any chance for sufficient income, nobody will ever rise. The world is free, but it costs your life to change your status.
 
"the king stays the king"

I've been travelling quite a lot in the last few months. My biggest journey brought me to Indonesia -  the 4th biggest country of the world (in population). In its capital Jakarta I hung out with a friend's friend, who is a journalist for television - which is a very well paid, "elite" kind of job there. She told me, that she earns about 750 $ per month - which is about three times the average income (245 $). I was baffled to understand, that I - as a "poor" student with a little secretaries job to live from, have more at my disposal then she does - a well established, highly paid journalist.
The - unbelievably high - average income of my so called home country is 4.000 $. So, in Austrian standards, my Jakarta friend would be earning an incredible sum of 12.000 $ a year.
Unfortunately she hasn't been as lucky as I have in terms of where she was born. When we parted after a couple of days, I invited her to pay me a visit in Vienna and asked her, if she has any plans to come. She said that she would love to come, but a flight to Europe is virtually unaffordable for an Indonesian - how ever well they are paid in their country.
I paid 915 $ for my flight to Jakarta.
Some time later I've been to Istanbul. One of my friends there is a studied Anglicist who is now working as a English teacher in a private institute - she told me that she works about 55 hours a week and gets about 2.000 Turkish Lira per month for that. Due to the stone-age dinosaurs who run that country at the moment, the Lira has dropped a lot in value in the recent years. 2.000 Lira are about 900 $ today. Some other friends of mine told me, that they planed to travel to Germany in summer, but now, with the Lira only worth a third of a Euro (five years ago it was 1.5 to 1), they can't afford to come any longer.
It seems like Turkey has dropped to some lower zone in this free world.


Has anybody noticed this NASA-funded study predicting humanity to collapse and become extinct due to modern civilisation? (link) We can be pretty sure that this is a typical piece of classical American Apocaypticism, but it still is interesting to see how drastic the words of some scientists need to become and still how (relatively) little attention it receives.
Anyway, it claims to have studied the decline of every major civilisation in the last 5.000 years and has worked out that there are two factors which are to be found in the collapse of every one of them. The two factors are closely connected. The first one is unsustainable exploitation of natural resources. The second is unequal distribution of wealth.
Because we all one this planet today share one global civilisation and both of these factors are very high, the study doesn't see a chance for mankind.

In Gilles Deleuze's Le Pli from 1988, he analyses the metaphysical system of Leibniz and claims, that he, Leibniz, has found the prior non-existent metaphysics of the baroque period. He goes on to claim, that we are still Leibnizians - the basic assumptions are applicable to our post-modern world. But, of course, we also defer from it. Whereas the baroque period is enclosed by Monadology, we today pursue a Nomadology. In our Modern world the system of Monads can not enclose the world in one closed system - no, it "opens up on a trajectory or spiral, that is continuously moving away from its center." For that, it seems to be ever moving. From pre-stabilized harmonics of a perfect closed system, to the harmonics of constant movement wrapped in a semi-stabilized system, that might make it hard to see where it is actually going.
The question is - what is harming our civilisation - or world, environment - more? Monadology or Nomadology? Is it the nomad's movement or the monad's inertia?

q.e.d.







Mittwoch, 2. April 2014

language-breeds - Derrick de Kerckhove



Thanks to Bernd Bösel I got to know Derrick de Kerckhove and read his formidable Schriftgeburten. Aside from the fact, that Peter Sloterdijk mentions him here and there, it is really stunning, almost extraordinary, how unknown the Canadian media-philosopher is (his English as well as French wikipedia-entry is a stump, a German one doesn't even exist). For de Kerckhove's psychotechnological take on Western culture is a grand undertaking and helps me (and I think will help others) in putting many puzzle-pieces of post-modern thought together to a more comprehensive picture of the whole (philosophy's most potent movement). I feel this book gave me a much more profound base for things I wanted to say all along, but wasn't really - or very speculatively - able to put together under one coherent line of thought. My brain is still being reprogrammed by the book and I would like to share my insights with you.
Schriftgeburten (whose German title I find much more apt than the original La civilisation vidéo-chrétienne) is concerned with the question, what actually makes the occidental culture. We know what it is (strong object-subject division, huge urge for definition, logo-centric world view and the likes ), but how did it actually become that? Why is this oftently debated, more and more broadly critisized occidental culture so outstanding? (in the sense, that it was able to become the dominant hegemonial power and cultural influence of the world)
Derrick de Kerckhove - who was scholar, co-worker and successor of McLuhan by the way - tries to answer this in analysing the impact and novelties of the Greek alphabet. The Greek alphabet's radical invention is to have symbols for vowels and consonants - all earlier alphabets, like Phoneician from which the Greek one was derived, only had symbols for the consonants - making it dependent of the text's reader to add the right vowels and therefore generating meaning. Because of this, the consonant-alphabets could never liberate themselves from their in-bedding in context as the Greek managed to. Derrick de Kerckhove goes as far as to claim, that the notion of a formal logical system could only have come into existence because of this. "The Greek alphabet is the first Computer program" he claims and goes on to draw a line from the Greek alphabet to "New Media"-technology, passing ancient drama and theatre, Gutenberg's letterpress, the telegraph, radio, video and television along the way. In doing this, he is not doing some cursory cultural history, but - quoting a lot of at-the-time contemporary neuroscience - examining the direct effects the alphabet has on our brain and, in doing so, asserting that many later technologies and common practises of occidental culture were already pre-figured by what this new, complete alphabet did - and still does - to us.

Below, you can find a much broader German review I did on de Kerckhove's extremely interesting Schriftgeburten.


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Einleitung

Derrick de Kerckhove beschäftigt sich in seinem Buch Schriftgeburten (dessen Übersetzungstitel mir weitaus treffender erscheint als der sehr sperrige, originale La civilisation vidéo-chrétienne) mit der Frage, was das Abendland eigentlich ausmacht. Abendlandkritik, -lobpreisung oder -pauschalzuschreibungen sind ja in aller Munde, allerdings scheint mir relativ wenig Einigkeit darüber zu bestehen, worin oder wodurch dieses Abendland denn genau besteht. Natürlich - den Ausgangspunkt des Abendlandes setzt man mit großer Übereinstimmung in den griechischen Stadtstaatenkulturen des 6. bis 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung an, wonach sie sich über die römische Imperiumskultur mit dem abrahamischen Monotheismus verband. Wir sehen unsere Kultur als die des "Abendlandes" an, wissen, dass diese in vormals unbekannten Maße mit dem Beginn der Neuzeit zur weltbeherrschenden Kultur avancierte1 und stufen dies spätestens seit der Post-Moderne als zusehends kritisch ein. Als wesentliche Charakteristika oder Eigenheiten des abendländischen Denkens werden zumeist eine starke Subjekt-Objekt-Trennung und eine damit verbundene Trennung von der Umwelt, ein ungeheures Bedürfnis nach Definition und logisch-dialektischer Analyse sowie eine stark logozentristische Weltanschauung genannt. Dessen sind wir uns wohl soweit einig.
Warum wir Abendländer diese uns recht einzigartigen, die Machtausbreitung über die Welt in neuen Dimensionen ermöglichenden Eigenheiten entwickelt haben, liegt aber weitgehend im Dunklen. Derrick de Kerckhove versucht sich dieser Frage über das Untersuchungsfeld der "Psychotechnologien" zu nähern. Also jenem technikphilosophischen Gedankengut, das sich den modulierenden Auswirkungen von Technologien auf den menschlichen Weltzugang widmet.
De Kerckhove sieht als die wesentliche, das Abendland hervorbringende Psychomodulation jene an, die das griechische Alphabet mit sich brachte. Wie allgemein bekannt, ging das griechische Alphabet aus dem Phönizischen hervor. Dieses besaß allerdings - wie alle anderen semitischen Sprachen - bloß Zeichen für die Konsonanten. Solche konsonantischen Alphabete benötigten stets einen Lesenden, der durch die verbale Intonation der Wörter die jeweils richtigen Vokale zu den vorgegebenen Konsonanten hinzufügen muss. Die Bedeutung wird also erst in Symbiose mit einem Interpreten hergestellt, wodurch die semitischen Sprachen stets von und in ihrem Kontext abhängig und eingebettet blieben.
Das phonetische Alphabet des (antiken) Griechischen sprengt diesen Zusammenhalt in vormals ungesehener Radikalität. Durch die Hinzufügung von Zeichen für die Vokale konnte sich das griechische Alphabet, so de Kerckhove, von seinem Umweltkontext restlos lösen. Ein Text konnte ohne Abhängigkeit von der Vorbildung des Lesenden stets richtig ausgesprochen werden - die Intonation, das Vorlesen des Textes wurde vom Primären ins Sekundäre abgestuft. Das Denken und Lesen verschob sich vom lauten Aussprechen zum stummen Sinnieren über die kompletten Codes des phonetischen Alphabets. Dies markiert den Übergang von oraler zu visueller Kultur.
Da dieses Novum es dem griechischen Alphabet ermöglicht, Bedeutungszusammenhänge unabhängig vom jeweiligen Rezipienten und Kontext herzustellen, nennt de Kerckhove das griechische Alphabet plakativ das "erste Computerprogramm." Die Logikzyklen einer digitalen Rechenoperation sollen ihren Ausgang in jenem geschlossenen, unabhängigen Referentialitätsystem des griechischen Vokalalphabets genommen haben. In einer tour de force durch das knapp zweihundert Seiten starke Buch zeichnet der kanadische Philosoph, Mitarbeiter und später Nachfolger McLuhans auf der University of Toronto, eine hastige wie aufregende Linie vom Alphabet zum Computer, als dessen Wegpunkte er den Buchdruck, die Elektrizität, das Morsesystem, das Radio und das Fernsehen ausweist.

Kognitive Auswirkungen des Alphabets

In seinem ersten Kapitel setzt sich der Kanadier grundlegend mit den titelgebenden kognitiven Auswirkungen des Alphabets auseinander.
"Wir sind in der Sprache gewesen, vor allem in der Schrift, wie Fische im Wasser. Die Fische aber kennen das Wasser nicht." (212) So wunderschön bildhaft beginnt de Kerckhove sein Buch. Daran im Anschluss wird der Gedanke erläutert, dass die "Erfindung" der Sprache wohl wichtiger war, als jene des Rades. Hierbei ist nicht die eigentliche Entstehung der Sprache gemeint, sondern das Beginnen der Reflexion über die Sprache und der Einsicht, dass sie etwas Künstliches ist - zu dieser Erkenntnis war eine Loslösung von der Sprache erforderlich, die - so de Kerckhove in Nachfolge des Anthropologen Edward Hall - nur mittels der Schrift möglich wurde. Als Nebenprodukt einer solchen Distanzierung von der Sprache zählt allerdings dann auch "sie zum Werkzeug zu machen und sich ihrer in einer Art zu bedienen, die nicht mehr ausschließlich eine unmittelbare Einbeziehung zur Folge hat wie in der Unterhaltung." (21) Mit zunehmender Distanz- oder Instrumentalisierung wächst die Anwendbarkeit sowie die Generierung gewisser kognitiver Strukturen.
Neben der eher bekannten These, dass Schrift kulturelle Evolution beschleunigt, möchte de Kerckhoves fundamentalerer Ansatz zeigen, "dass Schrift grundlegend die Art und Weise des Denken verändert" (22) - also eine grundlegende - vielleicht die grundlegendste - Psychotechnologie unserer Kultur ist.
Das griechische Alphabet soll eine Beschleunigung, Erweiterung und Verbreitung erreicht haben, die das Maß aller anderen Zeichensysteme bei Weiten überstieg und somit wesentliche Parameter der abendländischen Kultur kreierte.
Um dies zu zeigen, weißt de Kerckhove fünf kognitive Tendenzen der griechischen Schrift aus, wobei mir folgende - um nicht zu sehr in die Länge auszuufern - am Wesentlichsten erscheinen:
- da in phonemischen Schriften die kleinsten Grundbausteine bedeutungstragend sind (entgegen der z.B. Silbenschrift), trainieren diese einen Hang zur systematischen Auflösung in kleinste Teile (Atomisierung) an.
- da sich Bedeutung aus Kombinationsvariationen dieser Grundbausteine ergibt, neigen deren Anwender zum Denken in "logischen Verbindungen sowie Beziehungen von Ursache und Wirkung" (28). Dies befördert eine Emanzipation von sozialen Kontexten hin zu textinternen, logischen Argumentationen.
- Durch diese Verlagerung von sozialen Kontext zu logischer Stringenz wird der Schwerpunkt der Kommunikation "vom Oralen zum Geschriebenen, das heißt vom Zwischenmenschlichen zur Stille der privaten Gedanken" (29) verlagert.
Diese umrissenen Parameter trainierten kognitiv, in "grundlegende[n], aber völlig unbewusste[n] Struktur[en]" einen Hang zur linearen Analyse an, also "auch die sichtbare Welt in ihre kleinsten und feinsten Gliederungen und Proportionen zu zerlegen, gerade so, wie es das alphabetische Lesen 'vorschreibt'." (29)
Dieser sich in unserer Kulturgeschichte ausweitende Hang zur Abstraktion bewirkte an diesem Punkt eine Entsinnlichung der Sprache: Da das Hauptaugenmerk zunehmend auf logische Stringenz gelenkt wurde, wurden (rhetorischere) Faktoren wie Intonation, Gestik, Melodie und dergleichen sekundär. Die Sinne wurden gegen den Sinn getauscht: diverse sinnliche Bestandteile, die in der oralen Kommunikation zentral sind, werden also, durch die von der Schrift beförderten Informationsgesellschaft, zugunsten von abstrakten Gebilden vernachlässigt.
Durch diese vollständige Trennung vom sensorischen Gehalt der Sprache - die in die Nähe von Derridas différance gebracht wird - ist es dem Anwender erst möglich, sich von der Unmittelbarkeit der sinnlichen Eindrücke zu Emanzipieren und so Kontrolle über das Selbst zu übernehmen. Das abendländische Subjekt, seine in diesem Grade kulturgeschichtlich recht einzigartige individuelle Autonomie, nehmen von hier aus ihren Ausgangspunkt, so de Kerckhove.
Da das griechische Alphabet das erste war, das - wie in der Einleitung dargelegt - unabhängig vom Interpreten eine vollständige Trennung vom Signifikat herstellte, wurde es möglich "am Sinn selbst zu arbeiten, statt ihn nur zu repräsentieren." Dadurch konnte das abendländische Subjekt zum "ewigen Erfinder des täglichen Lebens werden." (34)
Des Weiteren argumentiert der kanadische Medienphilosoph, unter Verwendung eines Begriffsschemas des Neurobiologen Jean-Pierre Changeux, dass das griechische Alphabet das Denken als "Zirkulation von Konzepten" befördert wie kein anderes. Mit Konzepten sind hierbei geistige Objekte gemeint, die kaum sinnliche Aktivitäten auslösen, sondern sich assoziativ mit anderen Konzepten verbinden. Das so auf Konzepte ausgerichtete abendländische Denken kann sich dadurch "gemäß einer formalen Logik [...] organisieren, die relativ unabhängig von Erfahrungswerten ist." (37)
"Die Geburt des Grammatik und der Logik in der Antike ergibt sich zwingend aus der technologischen Verfasstheit des Alphabets, durch die die Sprache nicht länger ein Spiel von Bedeutungen war, die aufgenommen und interpretiert werden konnten. Sprache wurde vielmehr ein Kode, dazu bestimmt, Aussagen korrekt auszudrücken." (41)

Diese sehr tiefgreifenden Erkenntnisse werden recht hastig am Beispiel von Platon verdeutlicht. So wird argumentiert, dass Platons (bzw. Sokrates') Suche nach Definition, die damit eng verbundene platonische Idee und das Wettern gegen die bloße Meinung erst möglich ist, wenn der Sinn von Wörtern in einer logischen Ordnung autonom gegenüber dem Sinnlichen bestehen kann. Solange diese Trennung, oder Entstehung einer "Zweiten Welt", wie es Hegel genannt hat3, nicht komplett war, wäre Platons Vorgehensweise gar nicht denkbar gewesen.
Deswegen wird auch Platons romantisch anmutende Glorifizierung der "warme[n] Sinnlichkeit der oralen Sprache" im Phaidros als recht kindisch abgetan, da er diese nur verteidigen kann, "da er bereits völlig besessen oder, noch besser ausgedrückt, programmiert ist vom Dämon der Schrift" (40)

Das Alphabet und die Organisation der Wahrnehmung

Im zweiten Kapitel versucht de Kerckhove diese vorgebrachten Thesen mit Ergebnissen der Neurobio- und -physiologie zu untermauern.
Dies hat etwas sehr erfrischendes, da viele Vertreter des Metiers der Philosophie die Beachtung der Ergebnisse dieser recht neuen Wissenschaftszweige mit vorschnell vorgebrachten Reduktionismus-Vorwürfen ablehnen. Auch wenn diese Vorwürfe bei manchen Vertretern dieses Wissenschaftszweiges mit Sicherheit ins Schwarze treffen, scheint die leider zu oft vorgebrachte Pauschalablehnung dieses gesamten Wissensfelds eher eine Angst vor der Entdeckung eigener begrifflicher und konzeptueller Mängel aufzudecken, als eine wirklich fundierte oder berechtigte Kritik darzustellen. Philosophen sollten eigentlich in der Lage sein, Konzepte aus anderen Wissensbereichen zu integrieren und durch ihre fachspezielle Weitsichtigkeit zu kontextualisieren und erweitern. Eine abstoßende Kurzschlussreaktion zeigt hingegen eher, dass dessen Vertreter noch in veralteten, vor-wissenschaftlichen Begriffen und Denkschulen stecken, die mit den Ergebnissen unserer Welt nicht mehr zurecht kommen. Gilles Deleuze hat sein Leben lang - in Bergsons Gefolge - konstatiert, dass der modernen Welt eine Metaphysik der modernen Naturwissenschaften fehlt4, die Deleuze - meiner Meinung nach mit Erfolg - versuchte auszuarbeiten. Dass de Kerckhove nicht von dieser in der Philosophie weit verbreiteten, abstoßenden Angst affiziert ist, weist darauf hin, dass sein Denken in irgendeiner Art auch diese moderne Metaphysik kannte - deswegen kann de Kerckhove von Platon, Descartes, Derrida, der Neurobiologie, der Anthropologie und der Gegenwartskunst in einem Atemzug reden und diese in einem extrem für das Verständnis unserer Welt hilfreichen Werk zusammenbringen.

Zurück zur Argumentationslinie des Buches. Unter Berufung auf den Neurobiologen Alexander Luria wird auf die immense Wichtigkeit hingewiesen, die der ontogenetischen Ebene der Frontallappen im Gehirn bei der Verarbeitung von Schrift zukommt. Bei niederen Säugetieren ist diese Ebene noch kaum feststellbar, bei Primaten schon etwas, aber erst beim Menschen nimmt diese ein Viertel der gesamten zerebralen Masse ein.
Eine der Besonderheiten dieser Frontallappen ist, dass sie sich erst relativ spät autoorganisieren und damit sich an die individuellen - umweltabhängigen - Bedürfnisse der jeweiligen Person auch in bereits recht fortgeschrittenem Alter anpassen können. Diese Frontallappen bilden einen Apparat, der in der Lage ist "Projekte, Intentionen und die entsprechenden Mittel für deren Umsetzung noch vor der eigentlichen Ausführung zu konzipieren." (50) Diese scheinen eine notwendige Bedingung für das Aufkommen von Sprache und ferner Schrift gewesen zu sein und de Kerckhove argumentiert, dass - auch wenn diese Gehirnstruktur wahrscheinlich nicht für die Schrift entstanden ist - diese Frontallappen anhand ihrer eine enorme zusätzliche Verfeinerung erfahren haben.
Von dieser neurobiologischen Grundlage ausgehend, vertieft sich de Kerckhove in die Untersuchung, welche besonderen Autoorganisationen das griechische Alphabet bewirkt. Zwei wesentliche Grundmerkmale des griechischen Texts werden hierzu genauer unter die Lupe genommen: Einerseits, dass er "mehr als alle anderen Schreibweisen von seinem Bezug zum oralen Mitvollzug befreit" (51) und andererseits, dass er von links nach rechts, und nicht wie bei allen früheren Alphabetsystemen, von rechts nach links verläuft.
Die geänderte Textrichtung aktiviert hierbei die Gehirnareale, welche dem "Erkennen durch Zerlegung" (= also dem analytischen Denken) gegenüber "dem durch Vermitteln von Formen" (51) Vorrang geben. Dies paart sich mit der Möglichkeit des Lesens ohne Aussprache zu einer Fähigkeit, die das Denken in abstrakten Konzepten in einem unabhängigen, text-internen Kohärenzsystem bestärkt und damit die spezifischen Fähigkeit der angesprochenen Frontallappen in einer viel stärkeren Weise aktiviert, als es in den bisherigen Schriftsystemen der Fall war.
Diese Psychomodulation wirkt sich letztlich natürlich auch auf die Wahrnehmung aus, welche durch das griechische Alphabet eine gänzlich neue Organisation erhält. Die bereits genannten Besonderheiten trainieren die Wahrnehmung, die Welt nicht mehr als ganzheitliches Ambiente (wie wir es noch vom Geruch, Geschmack und teilweise auch noch vom Hören kennen) zu sehen, sondern diese Ganzheit zu zerteilen und einzelne Objekte in ihr zu fixieren.
Die Re-Organisation, die mit der Einführung des phonetischen Alphabets vor grob 3000 Jahren zuerst einmal das Denken betraf, wirkte sich zeitlich versetzt auch zunehmend auf unsere Wahrnehmung aus und generierte (oder modifizierte) dadurch Kulturpraktiken, die sozusagen das Alphabet in die dingliche Welt einschrieb - eine Kulturwelt schuf, die den alphabetischen Weltzugang auch jenseits des Textes vorantrieb.
Dies ist wohl die zentrale These dieses Buches, da es sich im weiteren Verlauf die Auswirkungen des phonetischen Alphabets in der technischen Entwicklung des Abendlandes ansieht.
"Nachweis einer gelungenen Übernahme der kognitiven Strategien der Schrift in Wahrnehmung und Kognition im allgemeinen ist der Empfang, den die griechischen Architekten - und später die Maler der Renaissance - der aufkommenden Perspektive bereiteten. Zunächst bezieht sich die Art der Selektion allein auf die Verarbeitung der Sprache. Erst wenn die Sprache zu einem Instrumentarium theoretischer Auseinandersetzung geworden ist, werden die gewandtesten und kultiviertesten Leser auch die Modalitäten ihrer Wahrnehmung neu organisieren. Vor diesem Hintergrund können wir erkennen, dass die allmähliche Forderung neuer theoretischer oder wissenschaftlicher Haltungen, die nach der Erfindung der Schrift auftauchten, sowie die Entwicklung neuer, der Schrift angemessener Lernzusammenhänge wie z.B. die Schule, das Theater oder die Verwaltung neurokulturelle Modelle sind, die die Schrift nicht einfach nur als permanenten Bestandteil der Kultur in Szene setzen. Sie bilden vielmehr eine Art zweiter Ebene der Alphabetisierung, die innerhalb dieser neuen Lebenskontexte Analphabeten wie alphabetisierte Personen beeinflusst." (56)

Theater

Nachdem in den ersten zwei Kapiteln die Grundbausteine als theoretisches Fundament gelegt wurden - also die kognitiven Auswirkungen des Alphabets sowie dessen Auswirkungen auf die Wahrnehmung, widmet sich de Kerckhove einer Analyse, inwiefern spezielle kulturelle Erzeugnisse in ihrer Entstehung vom Alphabet abhängig waren. Bevor er zu einem riesigen Sprung ins Zeitalter des Fernsehens ansetzt, wird die Struktur des antiken Theaters analysiert und dessen Aufkommen in Zusammenhang mit dem griechischen Alphabet gebracht.
In einem, den neurobiologischen Teil abschließenden Unterkapitel, gibt sich de Kerckhove verwundert über die relative Geringschätzung der Kunst im Abendland. Denn seiner Meinung nach trug diese einen irreduziblen Teil zur Neuorganisation der Wahrnehmung bei, die die kognitiven Tendenzen des griechischen Alphabets zur abendländischen Kultur mitsamt ihrer Technoaffinität verwandelten.
So nennt de Kerckhove die architektonische Anordnung des griechisch-römischen Amphitheaters eine "Blick-Organisations-Machine" (86), welches eine wesentliche Wahrnehmungsstruktur des Alphabets auch nicht-alphabetisierten Teilen der Gesellschaft antrainierte: die Fixierung des Sichtfeldes auf ein Objekt. Diese Art zu Sehen ist bei Weitem nicht so selbstverständlich, wie es uns, die wir seit fast 3000 Jahren auf die abendländische Kultur programmiert sind, erscheinen mag, und so betont Kerckhove, dass orale Gesellschaften den Blickpunkt nicht kennen. "Sie sind also nicht spezialisiert darauf, den Blick aus den anderen Sinnen herauszulösen, damit er allein die Wirklichkeit rastere und interpretiere." (88) Die alphabetische Kultur habe also eine Tendenz zum Primat des Sehsinns - und dessen objektorientierter Strukturierbarkeit - und zum Weglassen oder Filtrieren der anderen sinnlichen Eindrücke.
Auch die narrative Struktur einer antiken Tragödie bestärkt diese Tendenz. Der Zuschauer wird "gezwungen, die Details, die etwas 'bedeuten' auszuwählen und von denen, die weniger wichtig sind, zu unterscheiden." "Der Zuschauer sollte also den sinnlichen Reichtum der Aufführung auf geistiger Ebene in eine abstrakte Ordnung übertragen. Er sollte seine Sinne gegen den Sinn (Bedeutung) eintauschen." (83)
Durch diese Verfahrensweise wurden also auch die schrift-fernen Teile der griechischen Gesellschaft auf die alphabetische Wahrnehmungs- und Denkstruktur eingespielt: das Theater, die Architektur, wie auch der aufkommende Realismus und später die Perspektive verleiteten dazu, den sinnlichen Gehalt gegenüber einer in formaler Logik abstrakt einordnungsfähigen Objekt-Wahrnehmung zu vernachlässigen. Dies hat positive wie negative Effekte, und de Kerckhove verzichtet erfreulicher Weise, sich einseitig auf eine Bewertung eines so zentralen Vorgangs einzulassen. Vielmehr betrachtet er relativ wertneutral die sich ihm darbietenden Ergebnisse und behauptet so zum Beispiel auch, dass das Erwachen eines kritischen, individuellen Subjektbewusstseins eng mit dieser Psychomodulation zusammenhängt, ohne die einseitig zu verdammen oder gut zu heißen.

Sprung, Mission

De Kerckhove macht sich auch keine Illusionen über die Bedingungen seiner Erkenntnis über die Schrift:
"Dass die Schrift nun endlich ihr wahres Gesicht zeigt und wir erkennen können, dass sie einer der Grundbausteine unserer kognitiven Struktur ist, hängt aufs engste damit zusammen, dass sie unter dem Druck der Neuen Medien, die die Schrift nicht mehr nötig haben, ihren Status einer grundlegenden sozialen Regulierung verliert." (23)
Insofern können wir mit de Kerckhove auch nur so tief in die unsere eigenen Fundamente hervorbringenden Psychomodulationen blicken, da dieselben bereits seit einiger Zeit am auslaufen sind und durch andere Strukturen ersetzt werden, über die sich wohl zum gegebenen Zeitpunkt nur spekulieren lässt, da wir noch zu eng (und vielleicht immer mehr) von ihnen abhängig sind.
Dennoch oder genau deswegen lässt sich de Kerckhove im zweiten Teil der Schriftgeburten auf diese Spekulationen über die psychotechnologischen Auswirkungen der Gegenwartskultur ein, zeigt Linien auf, die man bis zum Aufkommen des Alphabets zurückverfolgen kann und auch Brüche, an denen dies nicht mehr möglich ist. So möchte de Kerckhove die Existenz der langen Linie vom Alphabet bis zur Atombombe behaupten und vertritt die zentrale Behauptung: "Das griechische Alphabet ähnelt den kodierten Sprachen des Computers insofern, als beide nicht zwangsläufig den Körper des Lesers beteiligen müssen, um zu funktionieren" (96)
Innerhalb dieses Rahmens lässt der Nachfolger McLuhans auch soetwas wie eine - in Ermangelung eines besseren Wortes - "ideologische" Mission oder Forderung durchscheinen: er möchte weg von dieser Sinn- und Text-zentrierten Weltanschauung um sich wieder einer ganzheitlicheren Sinnes-Wahrnehmung zu öffnen. Es geht ihm also darum, "die kognitiven Strukturen des 'Text-Denkens' zu überlisten, um unsere Sinne und unseren Geist wiederzufinden, damit wir eine Katastrophe verhindern können." (103) Mit dieser Katastrophe meint de Kerckhove nicht weniger als die globale Selbstvernichtung der Menschheit und damit lässt er sich in den noch recht schwächlichen, aber mit Sicherheit zukunftsträchtigen Flügel der ökologischen Philosophie einordnen. Und tatsächlich lassen sich verblüffend viele inhaltliche Parallelen zu einem anderen, bedeutenden Vertreter der noch in den Geburtswehen befindlichen ökologischen Philosophie feststellen: zu Michel Serres.
Auch wenn dieser Autor aus einem gänzlich verschiedenen Traditionsfeld stammt und einen komplett anderen Schreibstil an den Tag legt, sind die Kerngedanken beinahe ident: wie Derrick der Kerckhove ist auch Michel Serres, wie er es am anschaulichsten in seinem im selben Erscheinungsjahr (1990) wie Schriftgeburten erschienenem contrat naturel5 aufzeigt, der Ansicht, dass unsere auf rationale Analyse ausgerichtete Kultur eine zusehende Entfremdung von der Umwelt bewirkt(e), die letztendlich in der globalen Auslöschung kulminieren wird, wenn wir nicht ein neues, globales Bewusstsein entwickeln. Beide deuten an - wir werden dies später sehen - dass eine neue Vernunft für dieses Unterfangen notwendig sein wird6 und beide stufen die sogenannten Neuen Medien dafür als nützlich ein und lösen sich damit von einem biederen Kulturpessimismus, ohne der blinden Technophilie zu verfallen. Und zu guter Letzt tritt auch Michel Serres für eine Demokratisierung der Sinne ein, also einem (Rück-)Übergang vom Primat des Sehsinns und dem Sinn, zu den Sinnen, dessen Hemmung auch Michel Serres (u.a.) der Schrift zuordnet7.
Diese großen Parallelen zwischen zwei - oberflächlich betrachtet - so unterschiedlichen Denkern sind sehr spannend und sollten bei genauerer Analyse große Synergieeffekte freisetzen.

Im Gegensatz zu Serres kann man de Kerckhove definitiv nicht der sogenannten Post-Strukturalistischen Tradition zuordnen und doch scheint er mit dieser Schule eng vertraut gewesen zu sein, wie beiläufige Erwähnungen über Roland Barthes, Jacques Derrida und anderen Autoren verraten.
Dem einzigen8 - mehr oder minder - gegenwärtigen Philosophen, den de Kerckhove einer Kritik unterzieht - und auch dies nur sehr en passant - ist der allgemein als Begründer der "Dekonstruktion" bekannte Jacques Derrida (101 ff.). Diese Kritik ist sehr erhellend und lässt zumindest erahnen, in welchen Gedankengut und Diskursen sich de Kerckhove einordnen lässt - sie ermöglich das Brückenschlagen zum großen Pol der Postmodernen Philosophie.
Aus einer Alltagsanekdote entwachsend, kritisiert de Kerckhove, dass für Derrida alles nur Text sei und er letztendlich der großen abendländischen Denkfalle erlegen ist, zu glauben, dass die Welt von Natur auf textlich verfasst und strukturiert ist - wo hingegen de Kerckhove dies nur als einen unter vielen psychotechnologisch hervorgebrachten Weltzugang ausweisen und für einen anderen werben will. Derrida ist der alphabetisch-abendländischen Kultur also auf den Leim gegangen: er verwechselt eine technologische Modulation der Psyche mit einer Naturgegebenheit und ist so der Meinung, dass alles ecriture ist. Daher beruft sich die viel-gehypte Methode der Dekonstruktion einzig auf das Zerlegen von Sprachverhältnissen und deswegen entstehen in jüngeren Ergebnissen dieses Forschungsansatz teilweise absurde Verwechslungen oder Gleichsetzungen von Wort und Welt.
Obwohl Derrida also wohl dem von ihm selbst aus der Taufe gehobenem Logozentrismus am allermeisten verfallen ist, war seine Arbeit ein wichtiger Schritt zur Dekonstruktion der auf Platon zurückgehenden abendländischen Philosophie. Seine Totalisierung des Textes ermöglichte vielleicht erst ein begriffliches Erfassen, dass ein Denken hinter dem, in über 3000 Jahren verfestigten, griechisch-alphabetischen Logozentrismus ermöglichte, wie es bei de Kerckhove oder eben auch Michel Serres zu finden ist.
Fernsehevangelismus

Nach den oben summarierten, theoretische Grundlagen legenden Kapiteln beschäftigen sich die nächsten drei etwas kurioser Weise mit McLuhan, dem christlichen Glauben und dem Fernsehen. So werden Fragen verhandelt, warum McLuhan Katholik war und wie sich die christliche Kirche auf das Zeitalter des Fernsehens einstellen muss.
Mir - als Nicht-Christen - erscheinen diese Fragen relativ belanglos und, obwohl ich die Kapitel mit Interesse gelesen habe, werde ich mich damit bescheiden, die für den (mir interessant erscheinenden) theoretischen Gesamtausblick relevanten Bemerkungen zum Fernsehen zu wiederholen und davon absehen, nachzuzeichnen was Johannes Paul den Zweiten zu einem besonderen Papst macht(e).

Das Fernsehen und die Atombombe - positiv gesehen

Sehr amüsant an de Kerckhoves Ansatz ist, dass er versucht, zwei Lieblings-Hassobjekte des intellektuellen Diskurs nach 1945 - das Fernsehen und die Atombombe - positiv zu lesen.
So bemerkt er, dass uns mit dem Mikrophon und dem Fernsehen erstmals im Abendland wieder orale Strukturen einholen. Nachdem seit dem Aufkommen des griechischen Alphabets und dessen vielfacher Verstärkung durch den Gutenberg'schen Buchdruck (als dessen unmittelbares Ergebnis de Kerckhove übrigens die protestantischen Kirchenspaltungen einstuft) unser Augenmerk immer mehr, auf die stille, optisch-logische Analyse gelenkt wurde, sehen wir uns nun zum ersten Mal mit einem Wiederaufkommen einer oralen, sinnlichen Präsenz ausgesetzt.
"Die Welt wurde [in der griechischen Antike] nach Modellen neu definiert, in denen eine logische Beziehung zwischen dem Ding an sich und seiner objektiven Erscheinung bestand. Erst das Fernsehen, das beim Zuschauer eher sinnliche als rationale Aktivitäten hervorruft, verunsichert dieses Modell. Seit Beginn der sechziger Jahre lassen sich immer mehr Menschen von den alten, mythischen Traditionen anziehen." (124)
Das Fernsehen formt also unsere Sinnlichkeit neu, hat aber auch die - oftmals gefährlich eingestufte - Tendenz, den Zuschauer einer kritisch-rationalen Haltung zu berauben.
Dem generellen, "psychotechnologischen" Ansatz des Buches treu bleibend, beharrt de Kerckhove auch beim Fernsehen darauf, das seine grundlegendste Auswirkung eine neurologische ist - also das Fernsehen wiederum unsere kognitiven Wahrnehmungsstrukturen grundlegend verändert.
Während wir beim Lesen von (alphabetischen) Text zu "Widerständen" gemacht werden, verwandelt uns das Fernsehen zu "Halbleitern".
"Das schrittweise und analytische Verfahren der Lektüre erlaubt es dem Leser also, Barrieren und Filter, bestehend aus seinem erworbenen Wissen und seiner vorangegangenen Erziehung zu errichten, um zweifelhaften Begriffen und Vorstellungen entgegenzutreten. Der Fernsehzuschauer ist dagegen gezwungen, Bilder und Töne ohne jegliche Verteidigungsmechanismen zu akzeptieren." (138)
Doch obwohl de Kerckhove die kulturellen Gefahren dieser Neuentwicklung sieht und scharf erkennt, verfällt er nicht einem Adorno-esken Kulturpessimismus, sondern ordnet die Psychomodulation des Fernsehens nüchtern entlang seiner Begrifflichkeiten ein und versucht auch zu unterstreichen, dass sie ebenso positive Auswirkungen hat: so, dass das Fernsehen ein Wegpunkt zur Errichtung einer planetarischen Identität ist, die sich im Computer und Internet von ihren negativen, anfänglichen Begleiterscheinungen befreit - dazu mehr weiter unten. De Kerckhove sieht also die Gefahren der Verblödung, die das Fernsehen mit sich bringt, allerdings spielt es eine wesentliche Rolle im Entstehen einer neuen, weniger text-zentrierten Sensibilität, die er im Allgemeinen begrüßt.
Mit genau derselben Ausrichtung liest de Kerckhove auch die wohl noch viel fatalere Atombombe. Natürlich sieht er die mit ihr verbundene, noch nie zuvor dagewesene Gefahr der Selbstauslöschung der Menschheit, allerdings konstatiert er, dass ihre Erfindung unvermeidlich war, da sie von den Strukturen des Alphabets vorgezeichnet wurde. Deswegen besteht unsere Aufgabe darin, "unsere Angst vor apokalyptischen Vorstellungen zu zähmen und zu einer pointierten, rationalen Durcharbeitung zu gelangen." "Obwohl sie mit der universellen Zerstörung droht, können wir in ihr ebenso eine pädagogische Bedeutung erkennen, insofern als sie die Menschen reifer werden lässt, eine neue globale Verantwortung zu übernehmen." (143)
Nach de Kerckhove befinden wir uns gerade im kulturellen Übergang von einer "explosiven Zivilisationsform des phonetischen Alphabets zu der implosiven Zivilisationsform der Elektrizität" (144) Die Bombe hilft uns dabei, diesen Übergangsprozess zu beschleunigen. Sie zwingt uns, "ausgrenzende Verhaltensschema zugunsten einer neuen Haltung der Weltoffenheit hinter uns zu lassen", wir müssen von nun an "den existenziellen Bedürfnissen nicht nur auf lokaler, sondern auch auf globaler Ebene Rechnung tragen." (147) Dies zieht allerdings auch einen Zwang zur "Verwestlichung des Planeten" mit im Schlepptau, da sich aufgrund dieser permanent in der Luft hängenden Bedrohung, jeder Staat der (Kriegs-)Logik der westlich-abendländischen Technologie anpassen muss.
Zusammengefasst ist die Atombombe also keine Bedrohung, vor der wir uns in apokalyptische Schreckensbilder flüchten sollen, sondern eine noch nicht erfüllte Aufgabe. Sie "zwingt uns, das zu erkennen, was uns weder Überbevölkerung noch Hungersnot oder Umweltverschmutzung bis heute begreifen machen konnten." (157) Nun müssen wir begreifen, "dass das phonetische Alphabet Ausdruck einer der menschlichen Natur inhärenten unheilvollen Möglichkeit ist" und "dass die Atombombe die unvermeidliche Konsequenz eines grotesken Missverhältnisses zwischen der im Alphabet angelegten Entwicklung der Technologie und dem primitiven Niveau unserer sozialen Evolution ist." (158) 
 
Übergang in ein neues Zeitalter

Die sozialen Fähigkeiten, die eine Welt der Atombombe erfordert, rufen nach einer neuen Vernunft (vgl. 158), die in der Lage ist, unser Zeitalter der Elektrizität in seinen eigenen Begriffen zu verstehen - ohne Rückgriff auf das auslaufende Denken der Ordnung des phonetischen Alphabets.
Wir betreten also eine neue Ära, die es auszuloten gilt, und die zu einem neuen Grad an technologischer Veräußerung geführt hat: "Während die industrielle Ära eine ausgeklügelte Veräußerung unseres Muskelsystems gewesen ist, entspricht die neue elektronische Umwelt einer Veräußerung unseres zentralen Nervensystems." (152)
Mit einer Analyse dieser Veräußerung und ihren psychomodulativen Auswirkungen, die - zumindest nach Stand des Erscheinungsjahr des Buches 1990 - ihren höchsten Kulminationspunkt im Computer gefunden hat, befasst sich der letzte Teil von Schriftgeburten.
Der Computer bildet für de Kerckhove eine vorteilhafte Fusion der Eigenheiten von Alphabet und Elektrizität. Während der Fernseher - extremerer Pol der Elektrizität - uns damit bedrohte, unsere Autonomie zu verlieren, gleicht der Computer "einem Fernsehbildschirm, der uns mit Vehemenz zum Buch zurückführt."
Das Fernsehen, hat nicht nur "die verbale Analyse und die Kritikfähigkeit unterdrückt, sondern das Gehirn regelrecht zensiert. Das Buch machte aus uns dagegen vollständige, in sich abgeschlossene Individuen. Bezahlen mussten wir diesen Schritt allerdings mit der unvermeidlichen Manipulation unseres Nervensystems. Denn wir waren gezwungen, den Körper systematisch und fortwährend zu unterdrücken." (162) Beide Techniken bilden also jeweils einen extremen Pol an kulturellen Auswirkungen, indessen Mitte der Computer sich positioniert: einerseits eröffnet er uns, wie auch der Fernseher, eine neue Sinnlichkeit, ohne aber die negativen Auswirkungen des Verlusts jeglicher Kritikfähigkeit mit sich zu bringen. Mit dem Computer sind wir also in der Lage, ein globales Bewusstsein herzustellen, ohne dabei der totalen Fernsehverblödung zu verfallen.
Mit der Veräußerung des zentralen Nervensystems, die der Computer darstellt, ergibt sich eine "technologische Entwicklung zur Fusion von Denken und Handeln" (182), durch die der Mensch aber nicht - wie viele Techno-apokalypitker heute wie damals befürchten - zu einer willenlosen Veräußerung der Maschine wird.

Das Potential dieser technischen Revolution ist vielmehr eines, das von den postmodernen, abendlandkritischen Denkschulen dies- wie jenseits des Rheins seit mehr als einer halben Dekade gefordert wird: die Überwindung der Abendlandes: "Den neuen Technologien ist eine fundamentale Option inhärent, die bisher kaum vom wissenschaftlichen und kritischen Denken in Augenschein genommen worden ist. Dieser besteht darin, den psychologischen Kurs unseres griechisch-römischen Erbes zu überwinden." (182)
Der Fortgang dieser hochaktuellen, technologischen Entwicklung ist naturgemäß noch nicht entschieden: für de Kerckhove ist es noch unentschieden, ob wir, nachdem wir dank moderner Technologie der biologischen Determination mehr und mehr entgehen können, nicht der technologischen Determination umgekehrt proportional in die Falle gehen (vgl. S. 181 ff.). Die Virtualität ist aber - auf diesen sehr zukunftsweisenden Punkt insistiert der Kanadier - nicht per se ein Vorbote von Kulturverfall. "Denn die Virtualität kann auch Garantie für unsere Autonomie und Freiheit sein" (183), sie "entsteht aus der evolutionären Stoßkraft der Menschen, die zu einer maximalen Öffnung für die Welt strebt. Wir kommen an einen Punkt, an dem sich das Verhältnis von Festgelegtem und Virtuellem, von Determination und Freiheit verändert." (184)
Um dieser immensen Veränderung begrifflich gerecht zu werden - und ihr genau dadurch nicht in technologischer Determination oder - vulgärer - Verblödung anheimzufallen, ist eine "radikale Veränderung unserer Einstellung zur Technologie" vonnöten. Für Derrick de Kerckhove ist der einzulegende Kurs klar: "Statt unsere Maschinen zu fürchten, müssen wir sie überwinden, das heißt, wir müssen sie im Inneren unseres psychologischen Universums, unseres Körper- und Weltbildes absorbieren." (185)

Résumé

Fünfundzwanzig Jahre sind seit dem Erscheinen der französischen Erstausgabe von Schriftgeburten vergangen. Das Internet, damals gerade in primitiven Kinderschuhen steckend, ist heute zum unvorhergesehen potenten Leitmedium geworden und die technologischen Innovationen der "Post-Computer"-Ära re-strukturieren die Welt nochmals von Neuem. Trotz all dem, erscheint de Kerckhoves 1990 erschienenes Werk aktueller als viele Bücher späteren Erscheinungsdatums zum Thema. Die digitale Revolution und die Welt des Computers wird auf eine Art analysiert, die - aus dem Jahre 1990 kommend - fast hellseherisch wirkt.
Was die Aktualität und ungeheure Schärfe des Werks ermöglicht, ist wohl das profunde Kenntnis der Philosophie, deren große Stärke ein um vielfaches älterer Kanon als von jeglicher anderen Wissenschaft ist. Durch diesen langen kanonischen Rattenschwanz ist die Philosophie zwar oft träge, aber wenn nach vorne gerichtet, tiefgründig wie wenig andere Wissensgebiete. Dies erklärt auch, warum de Kerckhoves Werk noch heute so aktuell erscheint: sein Buch ist zwar nicht gespickt von Zitaten großer Philosophen, doch auch wenn er sich hauptsächlich und in der Literaturliste ausgewiesen an einem wissenschaftlichen Kanon des 20. Jahrhunderts abarbeitet, merkt man, dass er eine fundierte Ahnung vom geistesgeschichtlichen Verlauf der letzten drei Millennia hat.
Ab und zu verwundert es einen, wie wenig bekannt9 Derrick der Kerckhoves Schaffen ist - die immense Tragweite seines in Schriftgeburten vorgebrachten Entwurfs lässt anderes vermuten. Sicherlich - man kann dem Kanadier vorwerfen, dass auch er selbst die Schrift - oder, in seiner Terminologie: das griechische Alphabet - verabsolutiert hat: an manchen Stellen hat man tatsächlich das Gefühl, dass de Kerckhove die abendländische Kultur wirklich einzig und nur aus dem griechischen Alphabet hervorgehen sieht. Dies würde tatsächlich die Rolle des Alphabets ungerechtfertigt aufblähen und eine Multitude anderer, zentraler und wohl nie in ihrer Vollständigkeit rekonstruierbarer Faktoren vernachlässigen. Doch dieser Vorwurf würde de Kerckhove beschuldigen, einfältiger zu sein, als er sich in seinem Werk präsentiert: Natürlich besteht immer die Gefahr bei der Analyse eines Elements es zu verabsolutieren. Doch dies ist vielmehr nur ein Anschein, den die Form der Untersuchung suggeriert, als das er eine wirklich intendierte Intention des Autors wäre.
Wenn man de Kerckhove gerecht behandeln will, muss man im zugestehen, die Bedingungen des Abendlandes nicht so einseitig zu sehen, wie man es im vorwerfen könnte. Nein - seine relative Unpopularität scheint mir vielmehr darin begründet, dass die Philosophie, wie schon erwähnt, ein sehr träges Fach ist. Und da viele Vertreter dieses Fachs noch die Neurobiologe mit völlig veralteten Begrifflichkeiten attackieren, kann die immense theoretische Schlagkraft dieses Werks noch nicht allgemein akzeptiert worden sein. Doch - solange die Zeit in irgendeiner vernünftigen Art und Weise (eine Vernunft die wir, wie de Kerckhove es selber weiß, ja erst wieder finden müssen) - weiterfließen sollte, wird das hier rezensierte Buch an Bedeutung gewinnen.
Viele seiner Ansätze sind wegweisend und für eine Philosophie von morgen höchst nützlich. So kann zum Beispiel seine Sicht auf die Überwindung des Abendlandes durch ein richtiges Verständnis der Technologie den abendlandkritischen Schulen der Post-Moderne ein bitter nötiges Ziel ausweisen. Denn ohne dieses Ziel verfängt sich jene an und für sich sehr richtige Kritik in einer verkrampften Haltung der Dekonstruktion, die - trotz vordergründig lautstarker Ablehnung - die uralten abendländischen Tendenzen weiter bestärkt.
Dieses neue Ziel lässt sich bei de Kerckhove, Michel Serres und - um auch ein bisschen der Populärkultur Beachtung zu schenken - im immerzu wachsenden Bereich der Yoga-Philosophie10 finden: es handelt sich um eine Demokratisierung der Sinne, um eine Befreiung der anderen Sinne vor dem Primat des Sehsinns und der logischen Analyse. Es handelt sich um eine neue Sinnlichkeit11, die sich der abendländischen Misere vielleicht endgültig entzieht. Dies erscheint mir als das produktivste Ziel, welches uns der derzeitige Stand des Diskurses erlaubt anzuvisieren.

Kilian Jörg, März 2014

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1Die beste mit bekannte Darstellung dieser präzedenzlosen Machtannahme des Abendlandes ist wohl Peter Sloterdijks "Weltinnenraum des Kapitals". Sloterdijk, Peter: Im Weltinnenraum des Kapitals - für eine philosophische Theorie der Globalisierung. Suhrkamp: Frankfurt am Main 2005.
2Alle Zitate und Seitenangaben des hier rezensierten Werks beziehen sich auf diese Ausgabe: de Kerckhove, Derrick: Schriftgeburten - Vom Alphabet zum Computer. Wilhelm Fink Verlag: München 1995.
3siehe hierzu das Kapitel "Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt", insbesondere S. 128 ff. in Hegel, G.W.F.: Phänomenologie des Geistes. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1986.
4"Bergson says that modern science hasn't found its metaphysics, the metaphysics it would need. It is this metaphysics that interests me." - Deleuze in einem Interview mit Arnauld Villani zu finden in dessen Buch La guêpe et l'orchidée: essai sur Gilles Deleuze von 1990. Gefunden via: Smith, Daniel W.: Deleuze and Derrida, Immanence and Transcendence: Two Directions in Recent French Thought.
5Serres, Michel: Der Naturvertrag. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994.
6zuletzt auf S. 20 von Serres, Michel: temps de crises. Éditions Le Pommier: Paris 2009.
7vgl. insbes. S. 111-201 aus Serres, Michel: Die fünf Sinne. Zweite Auflage. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994.
8Man muss hier der Korrektheit hinzufügen, dass es nicht der einzige Gegenwartsphilosoph ist, auf den sich de Kerckhove beruft: seinen Mentor, Leiter und Vorgänger Marshall McLuhan erwähnt er sehr oft. Mehr noch: manchmal lässt er hindurch scheinen, dass er überhaupt nur die vom berühmten Medienphilosophen aufgestellten Gedanken zu Ende denkt.
9Man sehe sich hierzu nur seine Wikipedia-einträge ein, die im Französischen und Englischen nur kleine stumps sind und im Deutschen überhaupt nicht existieren. (Stand 23/3/2014)
10Aus dem Mahābhārata: "energetically [t]he [Yoga-knower] shall refuse to crave these (sense-objects) which disturb the group of five (senses)", "I shall exhibit you the whole of Yoga-activity; listen to it! It is unification of the thought-organ and conciousness, and of the senses altogether." und "Uniting the five (senses) knowingly, the ascetic shall make them rest in the though-organ; and when they, and the thought-organ as sixth, abide in the self, and standing firm become calmed, then Bráhman shines forth." - S. 261, 270 und 271 aus Edgerton, Franklin (Editor): The Beginnings of Indian Philosophy. Havard University Press: Cambridge, MA 1965.
11Man kann sogar Marx auf diese Weise lesen, wie es mir Peter Mahr in seiner VL "Geschichte der Philosophie III (17. bis 19. Jahrhundert) - Bacon bis Freud" im SoSe 2013 auf der Universität Wien demonstriert hat, ohne aber leider das Skript oder die Quellen rauszurücken.


Bibliographie
de Kerckhove, Derrick: Schriftgeburten - Vom Alphabet zum Computer. Wilhelm Fink Verlag: München 1995.

Edgerton, Franklin (Editor): The Beginnings of Indian Philosophy. Harvard University Press: Cambridge, MA 1965.
Hegel, G.W.F.: Phänomenologie des Geistes. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1986.
Serres, Michel: Die fünf Sinne. Zweite Auflage. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994.
Der Naturvertrag. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994.
temps de crises. Éditions Le Pommier: Paris 2009.
Sloterdijk, Peter: Im Weltinnenraum des Kapitals - für eine philosophische Theorie der Globalisierung. Suhrkamp: Frankfurt am Main 2005.
Smith, Daniel W.: Deleuze and Derrida, Immanence and Transcendence: Two Directions in Recent French Thought.