Samstag, 30. Mai 2020

Demo-Rede "Zum postcoronalen Zustand für Kulturschaffende"

Since the "2-Meter-Abstand Demo für Kunst & Kultur // Nr.3" yesterday was hit by heavy rains, I have decided to put my full speech online. So that those of you who missed it can read it here.




Demorede am 29ten Mai 2020

Zum postcoronalen Zustand für Kulturschaffende


Es ist wichtig, die Coronakrise im größeren Kontext zu betrachten, um den schlimmsten Szenarien zu entgehen und [noch viel mehr]: eine bessere Welt ausgehend von diesem postcoronalen Zustand, in den wir da gerade eintreten, zu entwickeln!

Dabei möchte ich vor allem zwei Faktoren herausheben:
1) das allgemeine Klima des politischen Backlashes, der durch ein vermehrtes Auftreten von Nationalismus, Sexismus, Fremdenhass und Abschottungsphantasien in den letzten Jahren geprägt ist.
2) [den Faktor] der Klimakatastrophe, in der wir uns befinden und die eine viel größere Herausforderung als die Coronakrise darstellt.

Tatsächlich ist die Coronakrise ein Teilaspekt der Umweltkrise.
Wir erleben gerade, dass das so genannte Sechste Massenaussterben auch den Bereich der Menschen trifft – und da noch präziser: nun auch die privilegierten Menschen.
Nur aufgrund der noch nie dagewesenen internationalen menschlichen Vernetzung (im Handel wie im Tourismus und Internet) und den daraus resultierenden Biodiversitätsverlusten, ökologischen Stressfaktoren, historischen Luftverschmutzungen und weiterhin schrumpfenden Habitaten von Nicht-Menschen konnte sich ein [virales] Problem von der Größenordnung von SARS-CoV-2 entwickeln.
Wir müssen die Coronakrise als einen Teil der ökologischen Krise verstehen, um den dystopischen Verhärtungen, die sich im Backlash ankündigen, zu entgehen. Hierfür werden wir die Kreativen und Kunstschaffenden mehr denn je brauchen!
Was wir in den letzten Monaten gesehen haben, wurde bisher für unmöglich gehalten. Noch nie hat die internationale Staatengemeinschaft so schnell auf ein Problem globaler Größenordnung reagiert. Kaum jemand hätte es für möglich gehalten, dass der globale Handel, der internationale Flugverkehr und der damit verbundene CO2-Ausstoß in so kurzer Zeit so radikal reduziert werden kann. Selbes gilt aber leider auch für die persönlichen Freiheitsrechte, die demokratische Rechtsstaatlichkeit und die transnationale Solidarität.
Wir sind an einen Horizont herangetreten, an dem plötzlich die hehrsten Utopien, wie auch die dystopischsten Befürchtungen der letzten Jahre als unmittelbar reale Szenarien erscheinen.
Einerseits spricht man von Deglobalisierung der Produktion und einem radikalen ökonomischen wie kulturellen Umdenken, führt teils bereits ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein und hat die auf fossilen Brennstoffen basierte Wirtschafts- und Tourismusbranche so massiv beschnitten, dass sie als überkommbares Paradigma erscheinen. „There is no alternative“ - wie es unsere Führungskräfe bislang als Mantra wiederholten - hat sich als endgültig als Unwahrheit erwiesen.
Andererseitsund dies dürfen wir nicht übersehen – machen leider auch totalitäre Überwachungstendenzen überall auf der Welt Schule. Verfassungswidrige Einschnitte in die persönliche Freiheit und Unversehrtheit werden mit einem jovialen Achselzucken als leider notwendig durchgewunken. Und Kritiker_Innen werden in die Nähe von so genannten „Gefährdern“ gerückt (Innenminister Nehammer) und als solche teils heftig diffamiert und angegriffen.

Man mag sich gegenüber Corona, dieser seltsamen Krönung, und der Richtigkeit der Maßnahmen, positionieren, wie man will. Eines ist jedoch klar: es wird kein Zurück mehr geben: die Zukunft, auf die wir blicken, ist eine post-coronale und es wird Zeit, sich damit kreativ, transdisziplinär und mutig auseinanderzusetzen. Wir müssen neue Territorien betreten und bislang Unsag- und Undenkbares wagen.
Solange die (staatlich verordnete) passive Schockstarre im kulturellen Bereich anhält, wird das sehr schwierig. Dann werden die biopolitischen Alpträume und real gewordenen Black Mirror-Folgen die wahrscheinlichsten Szenarien bleiben. Dann wird die Backlashtendenz der letzten Jahre und die kulturelle Regression sich weiter bis zum tödlichen Totalitarismus der Abschottungen verhärten.
Zur Zeit sehe ich ehrlich gesagt die große Gefahr, dass die FPÖ – die gerade noch in einem Ibiza-Kater darnieder liegt – es schaffen wird, längerfristig von der Coronakrise zu profitieren: Denn bisher waren es zu meinem Erschrecken Personen wie Herbert Kickl, die als erste breitenwirksam verfassungsrechtlich bedenkliche Aspekte der Coronahandhabung in Österreich kritisiert haben. Bei abzusehender steigender Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit in den nächsten Jahren müssen wir aufpassen, dass nicht schon wieder die Rechten Hetzer zu den Rattenfängern der Unzufriedenen werden. Damit würde der katastrophale Zustand unseres Planeten weiterhin und im wahrsten Sinne des Wortes einbetoniert werden.

Hier sind wir – als kreative, progressive Kulturschaffende – gefragt. Hier müssen wir mit besseren Erklärungen, Antworten, Kritiken und Utopien gegensteuern! Es liegt an uns, (einer transnationalen und gleichzeitig konkret lokalisierten mehr-als-menschlichen-Gemeinschaft), die coronale Krise jenseits der bisher dominanten Register des Menschlichen, Allzumenschlichen zu denken und zu leben. Corona steht in seiner Bedeutung nicht nur für einen Virenstamm, sondern auch für die Krone der Schöpfung. Es gilt diese wahnwitzige Idee des modernen Größenwahns mit seinen katastrophalen Folgen zu verlernen.

Wir müssen die Erde, die auch wir bewohnen, als nonhierarchische, komplexe Assemblage verstehen, in der ganz viele zu hause sind – und auch sein müssen, damit das Ganze funktioniert. Menschliches, Technologisches, Tierisches, Pflanzliches, Pilziges, Mikrobisches, Giftiges und auch Virales mit all diesen müssen wir in und um uns die richtige Mischung finden. Wir müssen uns in der Verwobenheit mit dieser sich radikal verändernden Welt erst einrichten. Nur dann gelingt uns ein nachhaltig gutes Leben in diesem postcoronalen Zustand. Hierfür sind viele Experimente und Forschungen notwendig. Hierfür muss noch viel gewagt und probiert werden.

Wer sollte für dieses Projekt besser geeignet sein, als die Kreativen und Kulturschaffenden?

Wenn wir das System in seinem jetzigen Zustand erhalten wollen, verschärfen wir die Klimakatastrophe nur noch weiter – und damit auch die Wahrscheinlichkeit für weitere virale und andere ökologische Krisen. Wir müssen also mehr wagen, als nur die AUA und die so genannte „Wirtschaft“ zu retten, während die eigentlich zentralen Akteur_Innen der Gesellschaft nur Brotkrümmel abbekommen.

Neben einer adäquaten Entlohnung und Förderung der so genannten „systemrelevanten Kräfte“, brauchen wir eine massive Förderung jener Kräfte, die kreativ, inklusiv und waghalsig das System erneuern und verändern können und wollen. Hierin liegt die Utopie des Kulturbetriebs! In dieser Zeit der Katastrophen brauchen die Kreativen und Kulturschaffenden viel viel mehr Mittel und Räume, neue und nachhaltigere Lebensweisen zu entwickeln und zu verbreiten – nur so entgehen wir dem Klimakollaps und Massenaussterben.

Was braucht es konkret? Ich werde hier abschließend nur drei Punkte knapp antasten, die mir wichtig erscheinen:
1) ein Bedingungsloses Grundeinkommen: und zwar – zumindest längerfristig – nicht nur für Kulturschaffende, sondern für alle! Denn wir brauchen mehr Kreative in dieser Zeit und wie sollte man besser Kreativität fördern als durch eine ökonomische Befreiung von den schlimmsten Abhängigkeiten des Kapitalismus?
In dieser Krise ist es vielleicht auch so manchen Politiker_Innen endlich klar geworden: Viele von uns sind Teil eines neuartigen Prekariats – wir sind Prekäre auf einem prekär gewordenem Planeten – und das Bedingungslose Grundeinkommen [und zwar am besten nach Alf Hornborg's Modell] ist die sozialste Formel, auf dieses Problem zu reagieren!
2) freie, inklusive Räume für Kultur!
Ich möchte mich nicht auf die (auch hier) immer wieder beschworene „Kulturnation“ berufen. Hierbei geht es für mich zu oft auf das Alte und Erstarrte (um uns herum) und es erscheint mir auch falsch, sich als „Tourismusmagnet“ der Politik verkaufen zu wollen.
Es gibt zwar viel Tolles in der Österreichischen Kulturvergangenheit, die Zukunft sehe ich aber wo anders. Ich begreife mich als Teil einer Gemeinschaft von Kreativen Wesen, die jenseits der Kriterien von Pass, Nation, Hautfarbe, Geschlecht, Beziehungen und Kapital arbeiten wollen. Dazu braucht es einen einfachen und inklusiven Zugang zu Kulturräumen des Experiments und Dialogs. Nur darin können wir eine Zukunft entwickeln!
3) Planungssicherheit und Vertrauen in die Kreativen
Während Baumärkte, Supermärkte und andere kapitalistische Zugpferde sehr bald genau wussten, wann und wie sie wieder aufmachen konnten, werden die Kulturschaffenden teils bis heute hängen gelassen. Was dabei vergeigt wird, ist, dass die beruflich bedingt Kreativsten der Gesellschaft nichts zu einem bitter notwendigen Wandel beitragen können.
Dies muss sich ändern – und hierfür sind wir heute auf der Straße, um ein lautes Signal an die Regierung zu senden – wir fordern: Gebt uns vertrauensvolle Freiheit und gebt uns Sicherheit in ökonomischen wie rechtlichen FragenDenn auch ihr werdet unsere Arbeit brauchen!
Wenn die Zukunft einigermaßen okay ausfallen soll, müssen die Kreativen und Kulturschaffenden neue Freiräume und Wertschätzung erhalten. Damit wird uns allen – Menschen wie Nicht-Menschen – geholfen, aus der katastrophalen Verhärtung der Gegenwart herauszufinden!

Ich danke euch!