Donnerstag, 24. April 2014

mapping brain-capacity


I have written a little proposal of how brain-capacity could be mapped. It is a little attempt to use neuroscientific results productively for something that can be called philosophy. It was written in German and in less than five hours, to meet the given requirements, which I don't feel like specifying on this blog at the moment.

--------------------------------------------------------------------------------------------


Kartographierung der Gehirnkapazitäten

Hinführung
Ein Umstand, der mich schon lange in seinen Bann zieht - und mit dem ich viele Probleme hatte, ihn zu akzeptieren - ist, dass das Gehirn ermüden kann. Das Gehirn - Sitz oder Zweiname1 unseres Geistes - ist keine in überirdischen Sphären schwebende Entität mit unendlicher Kapazität. Es ist ein Organ wie jedes andere und kann wie der Oberschenkelmuskel nach einem Marathonlauf ermüden.
Da vielleicht eine der grundlegendsten Erkenntnisse der Neuzeit jene ist, dass auch das Denken in rein stofflichen Prozessen abläuft, wird man nicht umhinkommen, den Begriff des "Denken" und die ihm nahe verwandten der "Vernunft", aber auch den der "Reflexion", der "Wahrheit", "Logik" oder "Kohärenz" neu zu formulieren.

Erläutern wie diese einleitenden, großspurigen Worte am Fall des Problemlösens und ziehen als unfehlbares Exempel des kanonischen Menon-Dialog von Platon herbei. In diesem löst ein Sklave - mit der Hilfe Sokrates' - das Problem der Quadratur eines Quaders. Der Sklave wusste davor nichts von Grundmathematik und musste sich die Lösungsstrategie selbst erarbeiten. Nach gefundener Lösung erklärt Platon/Sokrates diesen Vorgang als eine Anamnesis - einer Wiedererinnerung. Der Sklave musste seinen Geist also irgendwie aus der irdischen Welt in eine ewig wahre Ideenwelt erhoben haben und von dort die Lösung zurück gebracht (=wiedererinnert) haben. Dieses Motiv ist prägend für die abendländische Kultur in den folgenden zwei Millennia. Die Lösung eines Problems findet sich in einem überirdischen, unstofflichen Himmel, der die diesseitige Welt mit Wahrheit ausleuchtet. Denken bestand also im Wesentlichen darin, sich von der Stofflichkeit loszulösen - das Lösen eines Problems setzte die Entfremdung von der realen stofflichen Grundbedingung des Menschen voraus.
So dachte man - zumindest im intellektuellen Mainstream des Abendlandes - für 2000 Jahre. Aus einer Vielzahl von Gründen - wobei hier vielleicht nur die Beschleunigung und Vermehrung von Input/Minute erwähnt werden soll - sieht sich der Mensch aber seit spätestens Nietzsche wieder mit der Stofflichkeit seines Denkens konfrontiert: man erkennt zusehends, dass das Denken von physio-biologischen Prozessen abhängig, vielleicht sogar mit ihnen gleichzusetzen ist - das vieldiskutierte Phänomen der Neuroscience ist nur die gegenwärtige Eisbergspitze dieser epochemachenden Erkenntnis.
Diese hat selbstverständlich weittragende Konsequenzen für unseren Begriff des Problemlösens - als anschaulicherer Begriffs-Stellvertreter für das "Denken". In einem Zeit-Artikel vom 6. Dezember 2010 wird vom Serendipity-Prinzip des amerikanischen Soziologen Robert K. Merton und der neurologischen Forschung in der Nachfolge von Marcus Raichle, der mit Kernspintomografie die Gehirnaktivitäten während Problembewältigungen untersucht hat, berichtet2. Demnach besteht die effektivste Problemlösungsstrategie nicht darin, sich an einen Schreibtisch zu setzen und krampfhaft an dem Problem zu arbeiten, bis man die Lösung gefunden hat. Viel produktiver soll es sein, sich mit dem Problem so lange intensiv zu beschäftigen, wie es - im weiteren Sinne - Spaß macht. Wenn man dann bemerkt, dass man ermüdet - die Gedanken abdriftet, soll man sein Gehirn nicht dazu zwingen, weiter aktiv über die Lösung nachzudenken. Stattdessen soll man sich vom Schreibtisch loslösen, aufstehen und sich mit anderen Dingen des Lebens beschäftigen, die einem gerade Spaß machen: sagen wir, einen Spaziergang zu machen. Unser Gehirn ist nämlich - so das Ergebnis jener Forschungen - in dieser leissure time mitnichten unaktiv. Vielmehr berichtet der Zeit-Artikel, dass ein Großteil der Lösungsvorgänge im unbewussten, umherschweifenden Denken passieren. "Die vorbewussten, intuitiven Netzwerke in Ihrer Großhirnrinde erledigen den Job für Sie" wird der Hirnforscher Gerhard Roth zitiert.
Unbestrittener Weise benötigt man zum Problemlösen vorrangig Kreativität. "[D]as bewusste Denken folgt oft [aber] nur den bekannten, ausgetretenen Pfaden. Wer allzu verbissen nach der Lösung sucht, würgt häufig seine Kreativität regelrecht ab."
Die effektivste Strategie zur Lösung eines Problems besteht demnach also darin, sich eine Zeit lang intensiv und bewusst mit dem vorliegenden Problem zu beschäftigen, die Entscheidung aber zu vertagen: das Gehirn arbeitet nach diesen aktiven und bewussten Denkanstößen automatisch weiter und löst das Problem von alleine für einen.
Dieses Konzept von Problemlösen ist diametral jenem entgegengesetzt, was wir in Platons Menon veranschaulicht haben. Um ein Problem zu lösen, geht es nicht darum, sich von allem Stofflichen zu befreien und in aktiv in die überirdische Sphäre der Wahrheit vorzudringen. Vielmehr empfiehlt sich - nach einem kurzen, intensiven Hochsteigen in die bewusste Reflexion - eine Rückbesinnung auf die Stofflichkeit - ein Vertrauen in die Stofflichkeit: Vertrauen darauf, dass das Gehirn das Problem schon alleine bewältigen wird. Die neurologischen Ergebnisse Ulrich Schnabels implizieren, dass ein aktives Überlegen zu einem gewissen Zeitpunkt von produktiv zu kontraproduktiv umschlägt: von da an behindert man seine vorbewusste Großhirnrinde bei der selbstständigen Problembewältigung, versucht man etwas aktiv-bewusst dazu beisteuern.

Inhalt
Mit diesem radikal veränderten Verständnis von Denken müssen wir wohl erst lernen, umzugehen. Das Gehirn, Sitz des Denkens, scheint dem Magen ähnlicher zu sein, als wir lange dachten3. Wie der Magen nimmt das Gehirn schnell Inhalte auf, um diese dann aber zu speichern und erst langsam zu zersetzen - um somit die Stoffe, die gebraucht werden, zu extrahieren. Ein Inhalt - oder Input - den das Gehirn aufnimmt, wird von diesem viel länger bearbeitet, als wir uns dessen bewusst sind - im doppelten Sinne dieser Redewendung. Ein Großteil unserer Denkprozesse läuft also unbewusst ab - ein Umstand, mit dem sich auch erst die Moderne anfreunden konnte. Wenn wir also ein Problem zu bewältigen haben, sollten wir uns genau so verhalten, wie wenn wir Magenschmerzen haben: wir trinken einen Cognac oder Kräutertee und warten, bis er seine Wirkung tut und littern uns nicht so lange zu, bis die Beschwerden vergangen sind (da sie durch dieses Verhalten wohl eher zunehmen werden). Wir sollten uns also einem Problem - oder drücken wir es neutraler aus: einer Aufgabe - nähern und ein paar Happen davon durch unsere aktiven Gehirnwellen treiben. Dann sollten wir uns aber zurück lehnen - oder mit anderem beschäftigen und das Gehirn das Problem lösen lassen. Falls dies beim ersten Mal nicht klappt, nehmen wir noch einen Happen und sehen dann zu, ob uns beim nächsten Verdauungsspaziergang die Lösung einfällt.

An einem schnell gezeichneten Diagramm verdeutlicht: Die horizontale Achse symbolisiert den Bewusstheitsgrad beim Nachdenken über eine gegebene Problemstellung, die vertikale Achse symbolisiert die Zeit, die dabei vergeht. Am Anfang der Zeit wird mit einem Problem begonnen, am Ende des Zeitdiagramms ist die Lösung des Problems erreicht.
Wie ich versucht habe, in diesem Diagramm darzustellen, ist der Weg zur Lösung ein kürzerer = schneller, wenn das (blau ausgemalte) Nachdenken weiter nach links ins un- oder weniger bewusste abdriften darf, als wenn man es krampfhaft während des gesamten Lösungsfindungsprozesses im bewussten Bereich hält. (die Wellenlinien symbolisieren das natürliche Abdriften bei einer langen geistigen Anstrengung)


Was mich im Sinne der Aufgabenstellung an all diesem interessiert, ist eine Kartographierung dieser (wieder?)entdeckten Stofflichkeit des Denkens. Wenn wir Denken in der Folge meiner Ausführungen also modern auffassen, wie sieht dann der effektivste Zugang zur Arbeit und zum Denken aus?
Vielleicht waren die Probleme, die im antiken Menon zu lösen waren, noch hinreichend einfach, um in einem sit trough gelöst werden zu können. Unsere heutigen Anforderungen ans Denken und Lösen erfordern aber einen ganz anderen Zugang zum Kapazitätsmanagement unseres Gehirns. Man könnte es so ausdrücken: was mich interessiert, ist, eine Karte zu zeichnen, wie man am schnellsten durch die Stofflichkeit des Gehirns kommt, um ein Problem zu lösen. Lange Zeit wurden in platonistischer Tradition nur die aktiv-bewussten Gehirnareale als schnellste Wege empfohlen. Dies ist heutzutage allerdings obsolet geworden: die aktiv-bewussten Highways unseres Gehirns sind längst nicht alles, was zur Problembewältigung benötigt ist - die vielen kleinen Zubringerstraßen, das dichte, viel flexiblere Netz der kleinen Wege unserer vor- und unbewussten Großhirnrunde liefern erst das Material, das den Highway in Bewegung setzt.

Form, Medium
Unser Gehirn ist also stofflich und alles was stofflich ist, sollte sich auch kartographieren lassen. Allerdings wird nur in begrenzten Maße auf unsere bisherigen Kartographierungstechniken zurückzugreifen sein. Sloterdijk zeigt in seinem brillanten Weltinnenraum des Kapitals, dass die Kartographie ein wesentliches Machtmittel des abendländischen Westens war, dass die Machtergreifung über die Welt erst ermöglicht hat.4 Insofern muss man sich also wohl auch eingestehen, dass das Projekt einer Kartographie der Gehirnkapazitäten eine Machtergreifung über ein neues Territorium bedeutet, dessen Beherrschung noch unvorhersehbare Ergebnisse bringen wird.
Wie sollen wir aber diese Karte zeichnen? Mit der Macht welches Mediums wird sich diese Karte fabrizieren lassen? Es wird klar sein, dass diese Karte wohl nicht Platz finden wird auf den klassischen zweidimensionalen Blättern Papier auf die wir unsere Landschaftskarten drucken. Als Philosoph vielleicht vorbelastet, gehe ich immer noch davon aus, dass der Text die potenteste Fähigkeit zur Kartographie - im Sinne von Repräsentation - innehat. Der sprachphilosophische Verdacht des letzten Jahrhunderts, dass Sprache gleich Denken ist, verdeutlicht dies, auch wenn er über das Ziel hinausschießt. Wahrscheinlich wird das Medium dieser neuen Kartographie aber nicht der Text, sondern der Hypertext sein - also ein multimedialer Text, der angereichert mit Bild, Ton und Film schnell zwischen vielen Ebenen umherspringen kann - eine Art non-linearer Text also.

Konkreter
Um aber nicht nur in theoretischen Prognosen zu verweilen, möchte ich kurz noch zeigen, was auf einer solchen Karte interessant wäre zu verzeichnen.
Einerseits wäre sehr interessant herauszufinden, wie sich die Koexistenz von mehreren zu lösenden Problemen auswirkt. Es wird für ein Gehirn wohl kaum möglich sein, jemals sich mit nur einem Gedanken, einem Problem auseinanderzusetzen. Wie es aussieht, arbeitet unser Gehirn - zumindest im Vor- und Unterbewussten, meiner Überzeugung nach aber auch im Bewussten - immer an einer Vielzahl von Problemen gleichzeitig. Wie sieht aber die Beeinflussung zwischen verschiedenen Inhalten im selben Gehirn aus?
Zum Zeitpunkt 1 beginnt man über Problem 1 nachzudenken - man beginnt, wie es am besten ist, mit aktiven Überlegen und lässt es ins Vorbewusste abdriften (Zeitpunkt 4). Zu diesem Zeitpunkt beginnen wir aber über ein zweites Problem (aktiv) nachzudenken. Wie beeinflussen sich diese zwei Denkprozesse? Sind die zwei Ebenen, auf denen die Gedanken verfolgt werden, völlig unabhängig voneinander? Oder affizieren sie sich gegenseitig? In hindernder Natur oder in bestärkender Natur?

Ich nehme an, dass es dem Vor- und Unbewussten leichter ist, über mehrere Probleme gleichzeitig zu sinnieren. Wahrscheinlich gibt es da gewisse Probleme, die sich zu manch anderen symbiotisch, zu anderen parasitär verhalten. Also Probleme der Kategorie A befördern und stärken sich gegenseitig, während Probleme der Kategorie B sich behindernd und negativ auf jene der Kategorie A auswirken.
Allein eine Bestimmung dieser Kategorien - ihren Abhängigkeiten zu diversen Bedingungen, wie Müdigkeit, Stimmungslage, Nahrung, Tageszeit etc. - wäre ein riesiges Projekt.
Dann müsste man auch noch bestimmen, wie sich verschiedene Ebenen der Bewusstheit zueinander verhalten. Wieviele Inhalte sich gegenseitig befördern können, ab wann welches Gehirn überlastet ist. Was Überlastung ist und wie man sie am effektivsten abbaut. Woran erkenne ich Müdigkeit meines Gehirns? Betrifft sie alle Bereiche des Gehirns oder nur bestimmte Fähigkeiten? (Ist mein Gehirn also nur schreib-müde und könnte noch leicht und erfrischt mathematische Gleichungen lösen, oder betrifft die Möglichkeit alle Bereiche?)
Und zu guter letzt: da mein Gehirn stofflich wie mein Oberschenkel ist, sollte sich dieses auch genauso wie jener trainieren lassen. Intelligenz (im weiteren Sinne, nicht in jenem auf einen veralteten Logikbegriff reduzierten Sinne des IQ-Tests) ist also nicht (nur?) eine angeborene Fähigkeit, sondern eine Sache des Trainings. Genausowenig wie ein Läufer niemals ohne jahrelanges Training einen Marathon gewinnen würde, würde ein Denker jemals den Nobelpreis oder was-auch-sonst-für-eine-Leistung-man-als-groß-erachten-will ohne viel, viel Training erreichen. Eine hier angedachte Kartographierung der Gehirnkapazitäten könnte das Territorium zeigen, auf dem man Trainingspläne erstellen kann, anhand derer man das Intelektuellentum vielleicht ein bisschen unabhängiger von sozialer Klassenherkunft machen kann.

Meta-Karte?
Abschließend sei vielleicht noch gestanden, dass diese Ausführungen weniger eine Karte, als ein Konzept für eine zukünftige Karte sind. Das Erstellen einer solchen Karte wäre wohl ein Projekt, dass zumindest jahreslanges Einlesen in viel Forschungsmaterial und auch eine große Menge von experimenteller Forschung erfordern würde, die wohl von einer Einzelperson gar nicht machbar wäre.
Was Sie hier in den Händen haben, ist also weniger eine Kartographie, als eine Kartographie, die zu einer Kartographie hinführen könnte - eine Art Meta-Karte, die den Weg zu Neuem weist. Und voilà - hier hätten wir vielleicht die beste zeitgemäße Definition von Philosophie.



Kilian Jörg, 27/2/2014

1"Das Gehirn ist der Geist selbst." - S. 251 aus Deleuze, Gilles: Was ist Philosophie?. Suhrkamp: Frankfurt / Main 1996.
2vgl. im Folgenden: Schnabel, Ulrich: Vom geistreichen Nichtstun. zu finden in Die Zeit N° 49/2010 und auf http://www.zeit.de/2010/49/Geistreiches-Nichtstun/ (Abruf 27/2/2014)
3"Die Philosophen des Abendlandes waren lange Zeit jene, die nicht mit ihrem Magen zurecht kamen." - Arno Böhler in seiner Vorlesung "Das Fleisch der Immanenz" am 21/1/2014 im Hs 50 der Universität Wien.
4vgl. hierzu insbesondere Kapitel 18 "Die Zeichen der Entdecker - Über Kartographie und imperialen Namenszauber" in Sloterdijk, Peter: Der Weltinnenraum des Kapitals. Suhrkamp: Frankfurt / Main 2006.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen