Mittwoch, 7. Mai 2014

An die Grünen

Liebe Grüne Partei,

seit ich das Wahlrecht habe, bin ich grüner Stammwähler. Warum ich dieses Mal nicht die Grünen wähle, möchte ich hier kurz zusammenfassen.
Ich selbst bin ziemlich dunkelgrün eingestellt und wäre persönlich für eine viel progressivere grüne Politik, als sich wohl heute mit demokratischen Mitteln durchsetzen ließe. Dass parlamentarische Politik machen, realpolitische Kompromisse machen bedeutet, lass ich mir einreden und ich gehöre nicht zu denen, die aus Frust über zu wenig Radikalität dir den Rücken zukehr(t)en - so finde ich zum Beispiel, dass in Wien sei der rot-grünen Stadtregierung einiges weiter gegangen ist. Natürlich, für mich bedeutet dies nur einen kleinen Anfang und letztendlich sollte die gesamte innere Gürtelzone bis auf wenige Zubringerstraßen autofrei werden, doch dieser Anfang ist sehr gut gelungen und Parkpickerl, Mariahilferstraße, Carsharing, Radwegausbau und Co machen wirklich hoffnungsfroh.

Aber zur kommenden, wichtigen EU-Wahl kann ich nicht mehr als mir an den Kopf greifen, wenn ich durch die grausam von Wahlwerbung zugepflasterten Straßen Wien spaziere.
Bei allem was recht ist: was ist das für ein scheiß Plakat? Als eines der Hauptthemen für deinen Wahlkampf machst du ein unsinniges Gurkenkrümmungsgesetz, dass seit 5 Jahren nicht mehr in Kraft ist? Neben dem "Lieber Menschen retten als Banken"-Plakat, dass - sehr vorsichtig, sodass es keine der RassistInnen unseres Landes affrontieren könnte - die EU-Flüchtlingsproblematik thematisiert, kommt keines der grünen Wahlplakate über süße Tierbilder und stupiden Paradeiserpatriotismus hinaus. Haben wir nicht größere Probleme als diese? In der EU wie sonstwo?

Hier sind zur Erinnerung einige brennendere Themen, die mir in spontanen fünf Minuten eingefallen sind:
  • Weitere Regulierung und Eindämmung der Finanz- und Börsenspekulationen. Die Finanztransaktionssteuer, die übrigens eh wieder am abkacken ist, kann nur ein erster Schritt gewesen sein.
  • Endlich weg vom verkrusteten Paradigma der Wachstumsgesellschaft kommen! Sogar einer der Chefentwickler des modernen Finanzkapitalismus, John Maynard Keynes, hat voraus gesagt, dass in ca. 5 Generationen (= ziemlich genau heute) der auf Wachstum basierte Kapitalismus seine Grenze erreicht haben wird, und wir uns dann ein neues Wirtschaftssystem überlegen werden müssen. Mehr als vierzig Jahre nach den "Grenzen des Wachstums" vom Club of Rome muss ich mich wirklich fragen, warum es noch immer keine Partei gibt, die sich traut mit diesem Thema in den Wahlkampf zu gehen. Man könnte doch auf zumindest eines der drei Ernährungspolitikplakate verzichten und stattdessen ein Bild von einem wuchernden Krebsgeschwür und einem fetzigen Warntext verwenden. Ruft mal die Leute an, die die Zigarettenpackungen gestalten, die können euch sicher helfen.
  • Forcierte Umstieg auf grüne Energieressourcen, verstärkter Ausbau von alternativen Verkehrsmitteln, Eindämmung des Autoverkehrs etc. - wie beim Ernährungsthema wissen auch bei diesen Themen alle, dass sie die eurigen sind, dennoch, warum so ein manischer Fokus auf die Gurkerl und die Schweinderl?
  • Soziale Gerechtigkeit - eigentlich auch ein Stammthema der Grünen, auch wenn ich mir schon langsam nicht mehr sicher bin, ob sich dies nicht in Bio-Boboismus aufgelöst hat.
  • "Was für eine Krise?" Diese Krise ist doch nur ein Produkt wie Signal des Ablebens des gegenwärtigen Wirtschaftssystem. Lassen wir uns nicht von diesem konstruierten Krise-Begriff alles aufzwingen sondern feiern wir ihn und leiten ein anderes Wirtschaftssystem ein! Auch sehr populismustauglich.
  • Weg von blinden Arbeitsbeschaffungspolitik! "Arbeitsplätze schaffen", "Arbeitsplätze sichern" - es scheint kein größeres, unhinterfragbareres Dogma in gegenwärtiger Politik zu geben, als jenes. Ist schon mal jemandem eingefallen, dass Arbeit kein Selbstzweck ist? Wenn eine wirkliche Notwendigkeit im Sinne von Bedarf an Arbeit besteht, wird es diese Arbeit auch geben. So weit ist der "Markt" im Sinne von Gesellschaft tatsächlich in der Lage sich selbst zu regulieren: wenn Nahrung benötigt wird, werden entsprechende Jobs entstehen. Selbiges trifft bei Verwaltung, Verteidigung, Gastronomie, Handel und und und zu. Wie Michel Serres es ausdrückt, befindet sich die Menschheit im größten Wandel seit dem Neolithicum (=beginn der Sesshaftigkeit und des Agrarwesens). Vor gut hundert Jahren waren in allen Ländern der Welt noch 95% der Bevölkerung im primären Sektor beschäftigt, heute sind es in den meisten Industrieländern 5%. Wundert es uns da noch, dass wir massive Beschäftigungsprobleme haben? Anscheinend haben wir mit moderner Technik einen Status der Verwöhnung erreicht, der nicht mehr ansatzweise so viel Arbeit erfordert, wie vor der Industrialisierung. Wozu arbeiten wir also noch so viel? Die Burn-Out- und Überlastungsleitartikel werden von Jahr zu Jahr mehr, aber wofür arbeiten wir denn noch so viel? Die meisten sitzen doch eh in Jobs, die der Gesellschaft mehr schaden (Werbung, Bürokratie, Finanzwesen, Lobbying, Coaches) als nützen. Natürlich könnte man hier einwenden, dass jeder Mensch eine Beschäftigung, einen Sinn braucht und hierbei stimme ich selbstverständlich auch zu. Doch die Jobs, die das Wifi oder sonst wer schafft (was für ein seltsamer Ausdruck - Produktion von Arbeit?!), werden wohl die wenigsten glücklich stimmen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen mit der zusätzlichen Zeit, die bei einer Arbeitszeitverkürzung herausschaut, umgehen können und sie sinnvoller nützen werden, als es in einem geschaffenem Beruf möglich ist - mit Bildung und eigenen Projekten, die der Gesellschaft gleich einen riesigen Innovationsschub bringen wird. Deswegen ist eine Abkehr von der stupiden Arbeitsplatzbeschaffungspolitik und eine radikale Arbeitszeitverkürzung anzuraten. Dies erfordert aber selbstverständlich einen größeren politischen und gesellschaftlichen Wandel, als der Kampf gegen abgeschaffte Gurkenkrümmungsgesetze. 
Nochmals, ich bin mir durchaus bewusst, dass eine gewisse Adaption an die "breite Masse" (die leider viel zu oft als Diskursobjekt selbst mehr ein Konstrukt der herrschenden Macht, denn eine Realität ist) nötig ist, aber mit dieser Wahlkampfpolitik glaube ich nicht, dass ihr jemals über die stagnierenden 12 oder so % hinauskommen werdet. Die Gesellschaft ist mittlerweile relativ konsensuell grün eingestellt - es ist vielmehr das gängige Wirtschaftssystem, das mehr Wandel verhindert. Deswegen ist eine klarer fortschrittliche Politik erforderlich, als eine s(t)imulierte Paradeiserempörung. Populismus funktioniert sehr gut in der Politik, wie wir an diversen blauen Geschmacklosigkeiten sehen, und ist vielleicht auch ein wesentlicher Teil der Politik. Doch wenn eure Werbeleute nicht mehr als diesen Gurken- und Paradeisersalat zustande bringen, dann solltet ihr vielleicht Leute engagieren, die nicht zuvor bei der Bravo gearbeitet haben.
Ich bin der Meinung, dass Populismus auch im linken Spektrum funktioniert, wenn er klug ist und sich eben nicht ans Bravo-Niveau anschmiegt. Wie wäre es mit einem Plakat à la "Warum arbeiten wir uns alle in den Burn-Out?" im Sinne des letzten Punktes oben? Damit könnte man sich so richtig austoben.
Jedenfalls ist die derzeitige Kampagne lächerlich und ich kann mir nicht vorstellen, dass die in irgendeinen Spektrum ankommt. Der Frust und die sogenannte "Politikverdrossenheit" ist extrem groß in diesem Land und findet zur Zeit nur Ventil in steinzeitlichen Rassismen am rechten Rand. Die Menschen sind aber nicht so gestrig, wie es die Höhe des blauen Prozentbalken suggeriert. Sie sind nur frustriert und finden dies nur auf der einen politischen Seite erwidert. 
Ich würde mir wünschen, dass die grüne Partei wieder etwas kantiger wird, als sie es derzeit ist. Dass sie einen echten Wandel propagiert und sich nicht in Anbiederungen an eine imaginäre breite Masse verliert. Mit Wahlplakaten von jetzigen Format wird die Grünenpartei in der Lächerlichkeit untergehen - und nicht in der "breiten Masse" ankommen.
Langer rede, kurzer Sinn: ich werde bei dieser Wahl zum ersten Mal nicht die Grünen, sondern Europa Anders wählen und ich lade jeden dazu ein, dies auch zu tun, sodass sich zumindest eine geringe Chance ergibt, dass diese Stimme nicht an die 5%-Hürde verloren geht. 
Mich, liebe Grünen, habt ihr auf jeden Fall bis auf Weiteres verloren. Und dies liegt nicht daran, dass ihr zu wenig breitentauglich seid, sondern zuviel oder: ungeschickt breitentauglich, konformistisch breitentauglich. Und ich bin nicht alleine mit dieser Meinung.


2 Kommentare:

  1. // This is some local Austrian political statement and therefore only available in German. Sorry - I am too lazy to translate.

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