Dienstag, 22. Oktober 2019

"How to protect your internal ecosystem" by Miriam Schmidtke



Miriam Schmidtke has invited me to write a philosophical comment to her theater production "How to protect your internal ecosystem" which will premiere tomorrow, the 23rd of October, at Werk X in Vienna and will be on for a week.



The text can be found in the evening's handbill, the press folder and - later on - on the homepage. Read it here:


Miriam Schmidtke – How to protect your internal ecoystem?

Die ökologische Misere der Gegenwart könnte man mit folgendem Paradox zusammenfassen: «Wir werden immer sauberer, die Welt immer dreckiger.».Während die Körper, Räume und Gedanken der Menschen im Laufe der Moderne einem immer höheren Reinheits- und Glattheitsideal entsprechen mussten, verwandelte sich deren Umwelt in ein vergiftetes, ausgelaugtes Wasteland. 
Die Haut muss haarlos, die Seele sündenfrei, die Vernunft rein, der Handel reibungslos und die Straßen glatt sein – auf diesen gesäuberten Bahnen kann man zwischen reinen Menschenwelten hin- und herrasen, ungestört vom gehäuften Abfall am Wegesrand. 
Miriam Schmidtkes How to protect your internal ecosystem? hat einen solchen modernen Reinraum (deutsch für ‘Cleanroom’) zum Gegenstand und zeigt – gerade durch die bewusste Auslassung des Wasteland als dialektisches Gegenstück zum Cleanroom – wie schmerzhaft und zerstörerisch das in der digitalen Netzwerkkultur zur Spitze getriebene Sauberkeitsideal für ihre Erleider_Innen ist.  

Das Setting des Stücks bildet der Cleanroom, ein künstliches Produktionsmilieu in dem die Luftverschmutzung auf ein Minimum reduziert wird, um das Einschreiben von Binärmustern im Nanobereich unserer Siliziumchips zu ermöglichen. Unsere hypermoderne Vernetzungskultur benötigt Räume von unnatürlicher Sauberkeit, damit sich die glatten Oberflächen unserer Instagram-Stories, Facebook-Feeds und News-Ticker in Lichtgeschwindigkeit um den Globus spannen können. 
In diesem Reinraum beobachtet man zwei Wesen am Schmelzpunkt zwischen Mensch und Maschine beim unheimlichen Versuchen der mimetischen Annäherung an die ihnen vorgelebte, sterile Glattheit. Ihre Kultur, das ist jene der chronischen Einspeisung in Iszenierungssabläufe via Live-Updates, sowie der permanenten Selbstoptimierung durch Selbstüberwachung. An diesem Akkzelerationspunkt vermischen sich einst binär gedachte Pole wie Arbeit und Freizeit («Mich in meiner Freizeit zu präsentieren gehört nun mal zu meiner Arbeit.»), Körper und Geist («Ich möchte, dass mein Körper Nebensache ist. Dafür ist er in meinem Kopf nun mal die Hauptsache.») Sinn und Zweck oder eben Mensch und Maschine. Ihre Bewegungen erinnern an die simulierte Natürlichkeit von den Sims, gepaart mit den effizienten Bewegungsabläufen von automatischen Staubsaugern. Sie führen monologisierende Gespräche über die Vor- und Nachteile von Schlafen und Wachen, Essen und Hungern, Sein und Nicht-Sein – alles ist sinnlos, doch genau darüber können die sonst so öffentlichkeitsgewandten nichts ausdrücken. In der geloopten Trivialität ihrer sterilen Lebenswelt ist es auf einmal die Zusehende, die den reibenden Schmerz dieser Entfremdungskultur zu spüren bekommt. Denn die seelischen und kapitalistischen Innenräume auf der Bühne sind zu reingehalten, um noch irgendwas anderes als ein «Weiter wie bisher» für ihre Protagonistinnen transportieren zu können. 

Man erahnt : In diesen glatten Sauberkeitsräumen reproduzieren sich die kulturellen Kategorien des Abendlandes in intensivierter Weise fort : der Körper, das ist nur ein schweigender Diener des Geistes, der sich mit Fieberglaskabeln um die Welt gespannt hat. Die Charaktere möchten, dass ihr Körper Nebensache ist, und dafür müssen sie den Schmelzpunkt von Idealität und Realität erreichen. Computeruhren, motivationale Taktung und chronisches Motivationsfeedback helfen bei dieser Approximation an den reinen Raum, den Cleanroom, der hier weit über das Sujet der Chipentwicklung weist, hin zum Kern unserer abendländischen Transzendenzkultur und seiner Gewaltenteilung in Natur und Kultur, Körper und Geist, Welt und Ideal. Der Cleanroom ist der irdene Versuch, den geistigen Himmel auf Erden zu errichten – unter gänzlicher Auslöschung der Reibung und Säuberung eines jeden nicht-konformen Partikels. Wohin diese Schmutzpartikel gekehrt werden, wo die dreckige Unterseite dieses idealen Reinheitsraum ist, bleibt auf Seiten des Publikums, welches mehr und mehr das Wasteland als dialektisches Gegenstück zum aufgeführten Cleanroom in und um sich fühlt. 

Beglückt schweben die beiden Menschmaschinencharaktere auf dem narkotisierend gleichbleibenden Ambientloop durch diese schmerzhaft-fesselnde Theaterstunde. Die erste musikalische Mimesis von maschinellen Produktionszyklen waren der dreckige Detroit Techno der 80er und 90er Jahre, der sich das grausame Hämmern unserer harten, rußernen Stampfmaschinen aneignete. Der Techno reizte auf, ließ dadurch noch die Gewalt unserer Industriekultur am eigenen Leib nachvollziehen. Ganz anders geht es in diesem weißgewaschenen Reinraum der Virtualitätskultur im 21ten Jahrhundert zu: die Schwerindustrie wurde aus unserem Sichtfeld verlagert, outgesourced
Nichts reizt hier mehr auf – selbst der Techno, der kurz in einer (körpernormierenden) Fitnessstudioszene aufploppt, klingt billig und abgenützt. Schon bald zerfällt alles wieder in eine gleichbleibend monotone Wischbewegung. Der Kreis ist die ideale Form. Die Acht das Zeichen der Unendlichkeit, mit der sich am besten die größtmögliche Sauberkeit erreichen lässt. Beglückt erzählt eine der beiden Figuren vom Traum der zwei Geschirrspüler: «Einen Geschirrspüler könnt ich mir kaufen. Vielleicht sogar zwei. Dann kann man von einem, in den anderen hin und her räumen. Schmutzig, sauber, schmutzig, sauber. Hin und her. Hin und her. Praktisch, nicht?»

Als Zusehende findet man sich dieser Welt ausgeliefert, mit der wir alle vernetzt sind. Durch ihre Zurschaustellung auf der Bühne können wir erfahren, was wir im digitalen Alltag vielleicht schon übersehen: wie schmerzhaft reibungsfrei diese Sauberkeit ist, wie weit der Schmutz unserer hypermodernen Kultur bereits in monoton-kreisenden Achterbewegungen aus unserem Sichtfeld gekehrt wird.
In einer ökologischen Kultur jenseits der Moderne werden wir uns der anderen Seite der Reinheitsräume, den Wastelands und toxischen, nach jeder seltenen Erde ausgelutschten Landschaften, annehmen müssen. Auch in ihnen werden wir Seßhaftigkeit erproben müssen um Lebensformen jenseits der in ihrer Reinheit zerstörerischen Moderne zu erfinden.
Die Protagonistinnen in How to protect your internal ecosystem? scheitern an diesem Übergang, genau weil sie in den Innenräumen der modernen Technologie gefangen bleiben: selbst nach dem Kollaps bleibt ihnen nichts übrig, als dasselbe nochmals von Neuem zu beginnen – ihnen fehlt das Vokabular für den Übertritt in die andere Zone. Doch sie scheitern nur, damit wir – auf der anderen Seite der Bühne – es besser machen können. Nach Miriam Schmidtke’s Stück haben wir alle ein Gefühl dafür, wo die verschmutzende Vernetzung zu viel geworden ist und andere Formen des Lebens die einzigen des Überlebens sein werden.

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