Montag, 6. Oktober 2014

Postkarte aus dem NIG

why Marx was right

Hörsaal III, 18:45 - nachdem die beiden Haustechniker mit schockierender Pedanterie bereits eine Viertel Stunde am streikenden Mikrophon herum gewerkt haben, wurde es den Vortragenden zu dumm und sie entschieden sich, den Vortrag ohne technische Unterstützung zu halten. Leider nahm sich niemand mehr die Zeit (Zeit ist Geld?), dass defekte Mikrophon abzustecken. Dadurch erfüllte ein markdurchdringender, schrecklicher Sinuston den ganzen Raum. Er hatte eine Tonhöhe, die wohl nur junge Ohren hören konnten (die Höhensensibilität des Ohres nimmt mit dem Alter ab), und legte sich wie eine furchtbare Art Kopfweh in die Schläfe. Ich konnte dem Vortrag nicht folgen, auch wenn ich es versuchte mich. Innerlich total verkrampft, wehrte sich etwas in mir dagegen, ihn einfach weg zu blocken. Es erinnerte mich an diese neumodischen Alarmanlagen, die man seit ein paar Jahren einsetzt, um junge Störenfriede von Grundstücken fernzuhalten (http://de.wikipedia.org/wiki/The_Mosquito).
Diesem terrorisierenden, ungesunden Stress verursachenden Ton waren wir die ganze Vorlesung lang ausgesetzt. Es verstand sich aufgrund des Imperativs braver, kritischer Gelehrsamkeit von selbst, dass man diesen akustischen Störfaktor zugunsten des Inhalts der Rede unterdrücken musste. Die Sinnlichkeit muss unterdrückt werden, um geistige Spähren zu erreichen - dieser abendländischen Doktrin schien hier mit Hilfe technischer Mittel Nachdruck verliehen zu werden. Der Vortragende Terry Eagleton hielt einen Vortrag zur Aktualität von Marx und Kapitalismuskritik, während in seinem Hintergrund eine gigantische, die Aufmerksamkeit absorbierende Werbung leuchtete. Anstatt dass der Beamer bei Nichtgebrauch in den Energiesparmodus schaltet, blendet sich seit ungefähr einem Jahr eine riesige WienENERGIE-Werbung automatisch ein, die uns zum frohen Energiekonsum auffordert, den sie uns auch gleich munter vormacht.
Wird auf der UniWien gerade eine neue experimentelle Regierungstechnik implementiert, die uns zur Unterdrückung jeglicher Sinnlichkeit (und also zu guten Abendländern) abrichtet und uns gleichzeitig als unmissverständlichen Seitenhieb den realen Stellenwert von Kapitalismuskritik verdeutlichen will? Kapitalismuskritik powered by CocaCola?
Willkommen im neuen Semester!

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