Donnerstag, 19. November 2015

Repost: Zum Anlass der Wienwahl

// For some weird reason my commentary on the Viennese election from 12th of October just disappeared. Luckily I was able to retrieve it in the webchache. So here is the original post:

 

 

 

  Montag, 12. Oktober 2015


Zum Anlass der Wienwahl

Unsere politische Welt definiert sich kaum mehr durch eine Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, sondern mehr und mehr durch eine zwischen Establishment und Pöbel. Ein systemkonservatives Establishment versucht die Stellung zu halten gegen das laute und gänzlich irrationale Lärmen des Pöbels. Und innerhalb dieser neuen politischen Konfiguration geht jede progressive, ehemals "links" genannte Politik unter.
Ein älterer Freund ist erstaunt darüber, dass "die Guten heutzutage teil des Systems sind". Mit den radikalen Politikzellen der 70er und 80er und deren shismatischer Revolutionspolitik groß geworden, wundert er sich, dass er heute mehr und mehr zum Establishment halten muss, dass er einst bekämpfte. Denn die einzige realistische Alternative ist die laute, inhaltslose Politik des Pöbels, die mit schlechten Schüttelreimen und einer aufs Ressentiment der Minderpriveligierten abzielenden Propaganda ein Programm fährt, von dem jede_r halbswegs Gebildete weiß, dass dieses genau jenes Land wirtschaftlich, kulturell und sozial ruinieren wird, welches es in so neo-faschistoid-nationalistischen Tönen glorifiziert. 
Die dominante, neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte war erfolgreich. Mit ihrer systematischen Aushöhlung des Sozialstaates und Vermarktlichung beinahe aller Domänen des früheren Gemeinwesens (Gesundheitswesen, Bildungswesen, Infrastruktur, öffentlicher Transport, ...) hat sie es geschafft, aus dem ehemals nach links tendierenden Unterschichten einen maulenden Pöbel zu machen, dem sich kein vernünftiger Mensch (so links oder "radikal" sie oder er sich auch definiert) mehr anschließen kann: man muss zum Establishment halten, um der inflationären wie gefährlichen Idiotie entgegenzutreten. Deswegen ist es auch für die Merkels und Cos so leicht, sich heute als Stimme der Vernunft zu gerieren (in der Flüchtlingsfrage, Umweltpolitik, usw.), der man mit Widerwillen zustimmen muss: weil sie oder ihre Parteien den Kapitalismus so wuchern lassen haben, dass ein solch furchteinflößender Pöbel erst entstehen konnte. Sie scheinen eine Welt geschaffen zu haben, in dem sie beinahe noch das geringste Übel zu sein scheinen. 

Bei der gestrigen Wienwahl sind wir nocheinmal knapp der Ochlokratie entkommen. Durch ein in den Medien heraufbeschwörtes Duell zwischen rot und blau haben sich viele dazu hinreißen lassen, das (rote) Establishment zu wählen und wir sind alle zu recht erleichtert, dass die SPÖ doch die eindeutig stimmenstärkste Partei geworden ist. Doch wäre es jetzt das gefährlichste, sich auf dieser Erleichterung auszuruhen. Denn wenn sich nichts Gröberes in der gegenwärtigen Politik ändert, wird dieses Spiel ewig so weiter gehen. Halten wir weiter an unserem neoliberalen (mehr oder weniger "sozialistisch" gefärbten) Paradigma der Kommerzialisierung des gesamten Lebens fest, wird sie weiter einen lärmenden Pöbel kreieren, der das gesamte politische Feld lähmt und wahre und notwendige Politik verunmöglicht. Denn ob sie nun Front National, Tea Party, AFD oder FPÖ heißen, durch ihr lautes und diskursiv völlig unbrauchbares Gepöbel, lenken sie die Aufmerksamkeit auf populistisch wirksame Themen, gegenüber denen sich das Establishment als Stimme der Vernunft generieren kann und uns so zwingt, ihnen die unsere am Stimmzettel zu geben. Wirklich zeitgemäße und drängende Themen, wie z.b. jene der Ökologie, des Feminismus, der Globalisierung und der post-nationalen Strukturen (die ein Fakt und keine Ideologie sind) werden so nie besprochen und wir sind einer gefährlichen politischen Stagnation ausgesetzt, die wiederum den den Pöbel befördernden Politikfrust auslöst. 
Eine kleine Dystopie zum Abschluss: wenn das politische Spiel so weiter geht wie bisher, werden wir uns früher oder später in einem Kastensystem finden. Irgendwann wird die Elite, das Establishment in Übereinstimmung mit der gebildeteren Bevölkerung der Meinung sein, dass der Pöbel seine Stimmfähigkeit verloren hat. Man wird erkennen, dass sein Lärmen zu schädlich für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist und wird die Demokratie langsam abbauen, um die staatlichen Strukturen zu retten. Es wird mehr und mehr (und erschreckender Weise: zu recht) als "vernünftig" gelten, nur jene am politischen Prozess teilhaben zu lassen, die privilegiert genug sind, sich seiner Staatsraison anschließen zu können.
Um dies zu verhindern, muss sich etwas grundlegend ändern. Wer weiter an der Demokratie festhalten will, muss sich dessen bewusst werden, dass der Kapitalismus dabei ist, sich von der Demokratie zu emanzipieren (s. hierzu u.A.: das unsichtbare Komitee oder Slavoj Zizek). Es ist an der Zeit sich zu entscheiden: Demokratie oder Kapitalismus - beides zusammen wird nicht mehr lange funktionieren.

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