A couple of days ago, Malmoe #89 was released and in it you can find an article by Jorinde Schulz and me about the new generational conflict. This term ("Generationenkonflikt" ... praise German's ability of composita!) seems to be witnessing a certain renaissance around the new ecological movements such as Fridays For Future, Extinction Rebellion etc. and is all too easily associated with the 68 uprisings.
However, we want to problematize this comparison with a look at demographic factors: while - in the time of the Baby Boomers - the youth was some kind of majority in the 60ies and 70ies, today this is exactly the opposite: in our aging societies, it is the older people that dominate the public discourse and we should not put as much hope in youthful activism as 50 years ago: simply because the numbers are radically different.
For this new ecological movements to succeed, we need a reevaluation of the traditional associations of "youth" as opposed to "age" - we will need the older to change radically and take the streets as well...
Since the text will take a while to get online, you can also find it here:
Generationenkonflikt?
Über
gesellschaftliche Transformation unter nach-modernen demographischen
Bedingungen
»Wir sind hier, wir
sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.« Vermehrt hört man
aktuell wieder vom kommenden »Generationenkonflikt« – und
tatsächlich scheint es einen handfesten Interessengegensatz zwischen
Jungen und Alten zu geben. So werfen die Jungen und ganz Jungen bei
Extinction Rebellion und Fridays for Future den vornehmlich alten
Eliten aus Politik und Wirtschaft (sowie der von ihnen
profitierenden, bürgerlichen Klasse) vor, ihnen die Zukunft zu
zerstören, oder gar ganz zu vernichten. Sie blockieren Straßen, um
SUV-Fahrer jenseits der Midlife-Crisis – denen es scheißegal ist,
ob der Planet noch in 80 Jahren für Menschen bewohnbar ist – zu
stoppen oder fordern Reformen und gesellschaftliche
Umstrukturierungen, die das althergebrachte Moderne in seiner
ökologischen Schädlichkeit zügelt. Die Spaltung zwischen Alt und
Jung macht sich auch bei den EU-Wahlen bemerkbar: Während in fast
allen (westeuropäischen) Ländern grüne Parteien die alleinige
Mehrheitspartei der Unter-30-Jährigen sind, haben die konservativen
Rechtsparteien ihren demokratischen Rückhalt in den Altersgruppen
über 60. In Deutschland wählten bei der EU-Wahl beispielsweise
ganze 33% der U-30 die Grünen (13% CDU, 10% SPD, 8% Partei &
FDP, 7% die Linke, 6% AfD)), 39% der Ü-60 CDU (22% SPD, 13% Grün,
9% AfD, 5% Linke, 4% FDP). In Österreich und Frankreich ist die Lage
ganz ähnlich, auch dort sind die Grünparteien stimmenstärkste
Partei bei den U30, und dies trotz marginalisierter Position dieser
Partei in beiden Ländern. So haben in Österreich die Grünen bei
den U-30 28% der Stimmen, gefolgt von der SPÖ mit 22%, FPÖ 17%, ÖVP
16% und NEOS 14% - bei Ü60 wählten wiederrum 48% ÖVP und nur 4%
grün (SPÖ 26%, FPÖ 16%, NEOS 4%). In Frankreich ist Macron
Liebling der Ältesten (32%), während die weder im französischen
Senat noch der Nationalversammlung vertretene, grüne EELV bei den
U24 stimmenstärkste Partei mit 22% ist.
Das Aufkommen einer
neuen Jugendbewegung rund um die Klimakrise wird vom progressiven
Mainstream positiv aufgenommen. Abgesehen von konservativen
Hardlinern, die die Proteste als Deckmantel für Schulschwänzen,
Zeichen für naive Realitätsferne oder gar Vorboten eines neuen
totalitären Ökostalinismus einstufen, ist die Rezeption
hoffnungsvoll bis euphorisch. Endlich sei die Jugend wieder politisch
und kümmere sich um mehr als die eigene Work-Life-Balance. Nach den
apolitischen Generationen X und Y und den selbstbezüglich
karrieristischen Milennials wird heute »ein neues 68«
heraufbeschworen. Fridays For Future ist der erste Ausdruck der
Mobilisierungskraft einer neuen, scharfzüngigen und
veränderungsträchtigen Generation, bewundert von ihren Eltern- und
Großeltern – die meinen, sich nun getrost zurück lehnen zu
können. »Jede Generation muss ihren Kampf haben« ist das Credo,
mit dem sich mit passiv-imponierter Unterstützung das schlechte
Gewissen über die eigene Handlungsunfähigkeit verbergen lässt. Die
Jugend wird das ökokatastrophale Rad schon rumreißen.
So verständlich
diese Hoffnung, die mit einer neuen, dynamischen Generation verbunden
wird, auch ist, wird diese allein nicht ausreichen. Denn der
Generationenkonflikt hat sich grundlegend gewandelt, und seine
Implikationen sind daher ganz andere als zu Zeiten von 68. Wenn
Klimaaktivist*innen aktuell beklagen, die Älteren nähmen ihnen ihre
Zukunft weg, ist das nämlich nicht bloß ein moralisches Argument,
sondern auch ein demographisches. Während 1970 die U-20-Jährigen
ganze 30% der deutschen Bevölkerung ausmachten, waren es 2010 nur
mehr 18,4%, Tendenz – wie in allen westeuropäischen Ländern –
weiter fallend. Die Jungen - »Baby Boomer« - waren in den Jahren
nach 68 in der Überzahl, die Alten waren eine vom Krieg ausgedünnte
Generation. Heute sind genau diese Baby-Boomer in oder kurz vor der
Rente, die demographische Pyramide hat sich aufgrund von
Geburtenrückgang seither nahezu auf den Kopf gestellt – und die
Jungen bilden eine kleine Minderheit. Wenn sich heute also die Jugend
aktivistisch gegen einen Status Quo stellt, darf man dies nicht genau
so interpretieren wie frühere Jugendbewegungen – einfach nur
deswegen, weil die Zahlenverhältnisse andere sind.
Die neuen
ökologischen Bewegungen haben bereits vieles angestoßen und
verändert, neben FFF auch besonders durch radikalere Spielarten wie
Exctinction Rebellion und Ende Gelände. Um aber eine breitere
Transformation voranzubringen, müssen auch diejenigen progressiven
Nicht-Jugendlichen, die bewundernd passiv auf dieses Phänomen
schauen, oder mehr Konsequenz, moralische Stringenz, politische
Professionalität oder gar unbedingten Respekt vor dem Gesetz
verlangen, ihre eigene »Älteren«-Rolle überdenken. Denn unter
heutigen demographischen Bedingungen können wir nicht mehr auf die
Jugend als einzige dynamische, verändernde, transformierende –
vormals »revolutionär« genannte – Kraft vertrauen.
Es ist ein moderner
Commonplace, dass die Jugend die Welt im Dienste des allgemeinen
Fortschritts verändert. Unter den heutigen umgestülpten
demographischen Bedinungen in der ausgehenden Moderne kann dies so
nicht mehr funktionieren. Das kulturelle Imaginäre einer
rebellisch-transformativen Jugend und einem konservativ gesinnten
Altenteil entspricht einer bevölkerungstechnischen Wachstumslogik
des Sturm & Drang, welche sich nicht ohne Weiteres auf die
schrumpfenden, nach-modernen (post-Wachstums-)Gesellschaften des
Abendlandes übertragen lässt. »Wir sind die aussterbende
Generation, die nächste wird’s schon richten« funktioniert nicht,
weil dann viel mehr als nur die Alten aussterben. Wir müssen die
Begriffe von Jugend und Alter, und die mit ihnen verbundenen
Assoziationen, neu denken. Für unsere heutigen politischen
Herausforderungen heißt das, dass wir mindestens ein
intergenerationales Bündnis, optimalerweise ein radikales
Progressivwerden der Erwachsenen und Senior*innen sowie einen damit
verbundenen Wandel ihrer kapitalistisch normierten Lebenswelten und
-bedingungen brauchen. In Zeiten wie diesen müssen wir auch das
Alter zunehmend als dynamischen Teil von menschlicher und
emotionaler Veränderung und Entwicklung denken. Das Bild des
Rentners als Ruhesessel der festsitzenden Etabliertheit ist nicht nur
ästhetisch fragwürdig (Seniorenkreuzfahrten, thailändischer
Ehefrauentourismus, Kleingartenklaustrophobie), sondern auch
ökologisch untragbar. Gerade durch ihre Lebenserfahrung können
Ältere viel zur Nachhaltigkeit und Effizienz von Veränderungs- und
Proteststrategien beitragen, da sie längere Abläufe besser
einschätzen können als eine leicht ungeduldig vorpreschende Jugend
mit tendenziell hysterischer »5vor1« Mentalität. Und einige von
ihnen sich wohl noch an Zeiten erinnern, in denen ein sparsamer
Umgang mit Ressourcen nicht Askese entgegen die Logiken der
Globalisierung, sondern normal und notwendig war.
Global sind die
Jungen weiterhin in der demographischen Überzahl. In den Ländern
jedoch, wo die Pro-Kopf-Klimaschädlichkeit am Größten ist und eine
Ökologisierung der Gesellschaft folglich am wichtigsten weil
folgenreichsten wäre, sind die Jungen in der Minderheit – die für
eine globale Mehrheit einstehen muss. Westliche Industrienationen
können als ökologisch schädliche Gerontokratien bezeichnet werden.
Um diese fatale demographische Verkeiltheit zu überkommen, müssen
wir die modernen Rollenbilder von Alter und Jugend, Etabliertheit und
Veränderungsdrang überkommen. Kein Wunder, dass die Jungen jetzt
so laut schreien – sie werden noch viel lauter schreien müssen, um
das massive Übergewicht derjenigen, die am althergebrachten Alter
festhalten, zu übertönen und eine gesamtgesellschaftliche
Veränderung voranzubringen.
Kilian Jörg &
Jorinde Schulz, August 2019