Mittwoch, 23. Oktober 2019

Ein neuer Generationenkonflikt? - new text on a generational conflict under no-longer-modern demographic conditions






A couple of days ago, Malmoe #89 was released and in it you can find an article by Jorinde Schulz and me about the new generational conflict. This term ("Generationenkonflikt" ... praise German's ability of composita!) seems to be witnessing a certain renaissance around the new ecological movements such as Fridays For Future, Extinction Rebellion etc. and is all too easily associated with the 68 uprisings.

However, we want to problematize this comparison with a look at demographic factors: while - in the time of the Baby Boomers - the youth was some kind of majority in the 60ies and 70ies, today this is exactly the opposite: in our aging societies, it is the older people that dominate the public discourse and we should not put as much hope in youthful activism as 50 years ago: simply because the numbers are radically different.
For this new ecological movements to succeed, we need a reevaluation of the traditional associations of "youth" as opposed to "age" - we will need the older to change radically and take the streets as well...

Since the text will take a while to get online, you can also find it here:


Generationenkonflikt?
Über gesellschaftliche Transformation unter nach-modernen demographischen Bedingungen

»Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.« Vermehrt hört man aktuell wieder vom kommenden »Generationenkonflikt« – und tatsächlich scheint es einen handfesten Interessengegensatz zwischen Jungen und Alten zu geben. So werfen die Jungen und ganz Jungen bei Extinction Rebellion und Fridays for Future den vornehmlich alten Eliten aus Politik und Wirtschaft (sowie der von ihnen profitierenden, bürgerlichen Klasse) vor, ihnen die Zukunft zu zerstören, oder gar ganz zu vernichten. Sie blockieren Straßen, um SUV-Fahrer jenseits der Midlife-Crisis – denen es scheißegal ist, ob der Planet noch in 80 Jahren für Menschen bewohnbar ist – zu stoppen oder fordern Reformen und gesellschaftliche Umstrukturierungen, die das althergebrachte Moderne in seiner ökologischen Schädlichkeit zügelt. Die Spaltung zwischen Alt und Jung macht sich auch bei den EU-Wahlen bemerkbar: Während in fast allen (westeuropäischen) Ländern grüne Parteien die alleinige Mehrheitspartei der Unter-30-Jährigen sind, haben die konservativen Rechtsparteien ihren demokratischen Rückhalt in den Altersgruppen über 60. In Deutschland wählten bei der EU-Wahl beispielsweise ganze 33% der U-30 die Grünen (13% CDU, 10% SPD, 8% Partei & FDP, 7% die Linke, 6% AfD)), 39% der Ü-60 CDU (22% SPD, 13% Grün, 9% AfD, 5% Linke, 4% FDP). In Österreich und Frankreich ist die Lage ganz ähnlich, auch dort sind die Grünparteien stimmenstärkste Partei bei den U30, und dies trotz marginalisierter Position dieser Partei in beiden Ländern. So haben in Österreich die Grünen bei den U-30 28% der Stimmen, gefolgt von der SPÖ mit 22%, FPÖ 17%, ÖVP 16% und NEOS 14% - bei Ü60 wählten wiederrum 48% ÖVP und nur 4% grün (SPÖ 26%, FPÖ 16%, NEOS 4%). In Frankreich ist Macron Liebling der Ältesten (32%), während die weder im französischen Senat noch der Nationalversammlung vertretene, grüne EELV bei den U24 stimmenstärkste Partei mit 22% ist.

Das Aufkommen einer neuen Jugendbewegung rund um die Klimakrise wird vom progressiven Mainstream positiv aufgenommen. Abgesehen von konservativen Hardlinern, die die Proteste als Deckmantel für Schulschwänzen, Zeichen für naive Realitätsferne oder gar Vorboten eines neuen totalitären Ökostalinismus einstufen, ist die Rezeption hoffnungsvoll bis euphorisch. Endlich sei die Jugend wieder politisch und kümmere sich um mehr als die eigene Work-Life-Balance. Nach den apolitischen Generationen X und Y und den selbstbezüglich karrieristischen Milennials wird heute »ein neues 68« heraufbeschworen. Fridays For Future ist der erste Ausdruck der Mobilisierungskraft einer neuen, scharfzüngigen und veränderungsträchtigen Generation, bewundert von ihren Eltern- und Großeltern – die meinen, sich nun getrost zurück lehnen zu können. »Jede Generation muss ihren Kampf haben« ist das Credo, mit dem sich mit passiv-imponierter Unterstützung das schlechte Gewissen über die eigene Handlungsunfähigkeit verbergen lässt. Die Jugend wird das ökokatastrophale Rad schon rumreißen.

So verständlich diese Hoffnung, die mit einer neuen, dynamischen Generation verbunden wird, auch ist, wird diese allein nicht ausreichen. Denn der Generationenkonflikt hat sich grundlegend gewandelt, und seine Implikationen sind daher ganz andere als zu Zeiten von 68. Wenn Klimaaktivist*innen aktuell beklagen, die Älteren nähmen ihnen ihre Zukunft weg, ist das nämlich nicht bloß ein moralisches Argument, sondern auch ein demographisches. Während 1970 die U-20-Jährigen ganze 30% der deutschen Bevölkerung ausmachten, waren es 2010 nur mehr 18,4%, Tendenz – wie in allen westeuropäischen Ländern – weiter fallend. Die Jungen - »Baby Boomer« - waren in den Jahren nach 68 in der Überzahl, die Alten waren eine vom Krieg ausgedünnte Generation. Heute sind genau diese Baby-Boomer in oder kurz vor der Rente, die demographische Pyramide hat sich aufgrund von Geburtenrückgang seither nahezu auf den Kopf gestellt – und die Jungen bilden eine kleine Minderheit. Wenn sich heute also die Jugend aktivistisch gegen einen Status Quo stellt, darf man dies nicht genau so interpretieren wie frühere Jugendbewegungen – einfach nur deswegen, weil die Zahlenverhältnisse andere sind.

Die neuen ökologischen Bewegungen haben bereits vieles angestoßen und verändert, neben FFF auch besonders durch radikalere Spielarten wie Exctinction Rebellion und Ende Gelände. Um aber eine breitere Transformation voranzubringen, müssen auch diejenigen progressiven Nicht-Jugendlichen, die bewundernd passiv auf dieses Phänomen schauen, oder mehr Konsequenz, moralische Stringenz, politische Professionalität oder gar unbedingten Respekt vor dem Gesetz verlangen, ihre eigene »Älteren«-Rolle überdenken. Denn unter heutigen demographischen Bedingungen können wir nicht mehr auf die Jugend als einzige dynamische, verändernde, transformierende – vormals »revolutionär« genannte – Kraft vertrauen.
Es ist ein moderner Commonplace, dass die Jugend die Welt im Dienste des allgemeinen Fortschritts verändert. Unter den heutigen umgestülpten demographischen Bedinungen in der ausgehenden Moderne kann dies so nicht mehr funktionieren. Das kulturelle Imaginäre einer rebellisch-transformativen Jugend und einem konservativ gesinnten Altenteil entspricht einer bevölkerungstechnischen Wachstumslogik des Sturm & Drang, welche sich nicht ohne Weiteres auf die schrumpfenden, nach-modernen (post-Wachstums-)Gesellschaften des Abendlandes übertragen lässt. »Wir sind die aussterbende Generation, die nächste wird’s schon richten« funktioniert nicht, weil dann viel mehr als nur die Alten aussterben. Wir müssen die Begriffe von Jugend und Alter, und die mit ihnen verbundenen Assoziationen, neu denken. Für unsere heutigen politischen Herausforderungen heißt das, dass wir mindestens ein intergenerationales Bündnis, optimalerweise ein radikales Progressivwerden der Erwachsenen und Senior*innen sowie einen damit verbundenen Wandel ihrer kapitalistisch normierten Lebenswelten und -bedingungen brauchen. In Zeiten wie diesen müssen wir auch das Alter zunehmend als dynamischen Teil von menschlicher und emotionaler Veränderung und Entwicklung denken. Das Bild des Rentners als Ruhesessel der festsitzenden Etabliertheit ist nicht nur ästhetisch fragwürdig (Seniorenkreuzfahrten, thailändischer Ehefrauentourismus, Kleingartenklaustrophobie), sondern auch ökologisch untragbar. Gerade durch ihre Lebenserfahrung können Ältere viel zur Nachhaltigkeit und Effizienz von Veränderungs- und Proteststrategien beitragen, da sie längere Abläufe besser einschätzen können als eine leicht ungeduldig vorpreschende Jugend mit tendenziell hysterischer »5vor1« Mentalität. Und einige von ihnen sich wohl noch an Zeiten erinnern, in denen ein sparsamer Umgang mit Ressourcen nicht Askese entgegen die Logiken der Globalisierung, sondern normal und notwendig war.

Global sind die Jungen weiterhin in der demographischen Überzahl. In den Ländern jedoch, wo die Pro-Kopf-Klimaschädlichkeit am Größten ist und eine Ökologisierung der Gesellschaft folglich am wichtigsten weil folgenreichsten wäre, sind die Jungen in der Minderheit – die für eine globale Mehrheit einstehen muss. Westliche Industrienationen können als ökologisch schädliche Gerontokratien bezeichnet werden. Um diese fatale demographische Verkeiltheit zu überkommen, müssen wir die modernen Rollenbilder von Alter und Jugend, Etabliertheit und Veränderungsdrang überkommen. Kein Wunder, dass die Jungen jetzt so laut schreien – sie werden noch viel lauter schreien müssen, um das massive Übergewicht derjenigen, die am althergebrachten Alter festhalten, zu übertönen und eine gesamtgesellschaftliche Veränderung voranzubringen.


Kilian Jörg & Jorinde Schulz, August 2019

Dienstag, 22. Oktober 2019

"How to protect your internal ecosystem" by Miriam Schmidtke



Miriam Schmidtke has invited me to write a philosophical comment to her theater production "How to protect your internal ecosystem" which will premiere tomorrow, the 23rd of October, at Werk X in Vienna and will be on for a week.



The text can be found in the evening's handbill, the press folder and - later on - on the homepage. Read it here:


Miriam Schmidtke – How to protect your internal ecoystem?

Die ökologische Misere der Gegenwart könnte man mit folgendem Paradox zusammenfassen: «Wir werden immer sauberer, die Welt immer dreckiger.».Während die Körper, Räume und Gedanken der Menschen im Laufe der Moderne einem immer höheren Reinheits- und Glattheitsideal entsprechen mussten, verwandelte sich deren Umwelt in ein vergiftetes, ausgelaugtes Wasteland. 
Die Haut muss haarlos, die Seele sündenfrei, die Vernunft rein, der Handel reibungslos und die Straßen glatt sein – auf diesen gesäuberten Bahnen kann man zwischen reinen Menschenwelten hin- und herrasen, ungestört vom gehäuften Abfall am Wegesrand. 
Miriam Schmidtkes How to protect your internal ecosystem? hat einen solchen modernen Reinraum (deutsch für ‘Cleanroom’) zum Gegenstand und zeigt – gerade durch die bewusste Auslassung des Wasteland als dialektisches Gegenstück zum Cleanroom – wie schmerzhaft und zerstörerisch das in der digitalen Netzwerkkultur zur Spitze getriebene Sauberkeitsideal für ihre Erleider_Innen ist.  

Das Setting des Stücks bildet der Cleanroom, ein künstliches Produktionsmilieu in dem die Luftverschmutzung auf ein Minimum reduziert wird, um das Einschreiben von Binärmustern im Nanobereich unserer Siliziumchips zu ermöglichen. Unsere hypermoderne Vernetzungskultur benötigt Räume von unnatürlicher Sauberkeit, damit sich die glatten Oberflächen unserer Instagram-Stories, Facebook-Feeds und News-Ticker in Lichtgeschwindigkeit um den Globus spannen können. 
In diesem Reinraum beobachtet man zwei Wesen am Schmelzpunkt zwischen Mensch und Maschine beim unheimlichen Versuchen der mimetischen Annäherung an die ihnen vorgelebte, sterile Glattheit. Ihre Kultur, das ist jene der chronischen Einspeisung in Iszenierungssabläufe via Live-Updates, sowie der permanenten Selbstoptimierung durch Selbstüberwachung. An diesem Akkzelerationspunkt vermischen sich einst binär gedachte Pole wie Arbeit und Freizeit («Mich in meiner Freizeit zu präsentieren gehört nun mal zu meiner Arbeit.»), Körper und Geist («Ich möchte, dass mein Körper Nebensache ist. Dafür ist er in meinem Kopf nun mal die Hauptsache.») Sinn und Zweck oder eben Mensch und Maschine. Ihre Bewegungen erinnern an die simulierte Natürlichkeit von den Sims, gepaart mit den effizienten Bewegungsabläufen von automatischen Staubsaugern. Sie führen monologisierende Gespräche über die Vor- und Nachteile von Schlafen und Wachen, Essen und Hungern, Sein und Nicht-Sein – alles ist sinnlos, doch genau darüber können die sonst so öffentlichkeitsgewandten nichts ausdrücken. In der geloopten Trivialität ihrer sterilen Lebenswelt ist es auf einmal die Zusehende, die den reibenden Schmerz dieser Entfremdungskultur zu spüren bekommt. Denn die seelischen und kapitalistischen Innenräume auf der Bühne sind zu reingehalten, um noch irgendwas anderes als ein «Weiter wie bisher» für ihre Protagonistinnen transportieren zu können. 

Man erahnt : In diesen glatten Sauberkeitsräumen reproduzieren sich die kulturellen Kategorien des Abendlandes in intensivierter Weise fort : der Körper, das ist nur ein schweigender Diener des Geistes, der sich mit Fieberglaskabeln um die Welt gespannt hat. Die Charaktere möchten, dass ihr Körper Nebensache ist, und dafür müssen sie den Schmelzpunkt von Idealität und Realität erreichen. Computeruhren, motivationale Taktung und chronisches Motivationsfeedback helfen bei dieser Approximation an den reinen Raum, den Cleanroom, der hier weit über das Sujet der Chipentwicklung weist, hin zum Kern unserer abendländischen Transzendenzkultur und seiner Gewaltenteilung in Natur und Kultur, Körper und Geist, Welt und Ideal. Der Cleanroom ist der irdene Versuch, den geistigen Himmel auf Erden zu errichten – unter gänzlicher Auslöschung der Reibung und Säuberung eines jeden nicht-konformen Partikels. Wohin diese Schmutzpartikel gekehrt werden, wo die dreckige Unterseite dieses idealen Reinheitsraum ist, bleibt auf Seiten des Publikums, welches mehr und mehr das Wasteland als dialektisches Gegenstück zum aufgeführten Cleanroom in und um sich fühlt. 

Beglückt schweben die beiden Menschmaschinencharaktere auf dem narkotisierend gleichbleibenden Ambientloop durch diese schmerzhaft-fesselnde Theaterstunde. Die erste musikalische Mimesis von maschinellen Produktionszyklen waren der dreckige Detroit Techno der 80er und 90er Jahre, der sich das grausame Hämmern unserer harten, rußernen Stampfmaschinen aneignete. Der Techno reizte auf, ließ dadurch noch die Gewalt unserer Industriekultur am eigenen Leib nachvollziehen. Ganz anders geht es in diesem weißgewaschenen Reinraum der Virtualitätskultur im 21ten Jahrhundert zu: die Schwerindustrie wurde aus unserem Sichtfeld verlagert, outgesourced
Nichts reizt hier mehr auf – selbst der Techno, der kurz in einer (körpernormierenden) Fitnessstudioszene aufploppt, klingt billig und abgenützt. Schon bald zerfällt alles wieder in eine gleichbleibend monotone Wischbewegung. Der Kreis ist die ideale Form. Die Acht das Zeichen der Unendlichkeit, mit der sich am besten die größtmögliche Sauberkeit erreichen lässt. Beglückt erzählt eine der beiden Figuren vom Traum der zwei Geschirrspüler: «Einen Geschirrspüler könnt ich mir kaufen. Vielleicht sogar zwei. Dann kann man von einem, in den anderen hin und her räumen. Schmutzig, sauber, schmutzig, sauber. Hin und her. Hin und her. Praktisch, nicht?»

Als Zusehende findet man sich dieser Welt ausgeliefert, mit der wir alle vernetzt sind. Durch ihre Zurschaustellung auf der Bühne können wir erfahren, was wir im digitalen Alltag vielleicht schon übersehen: wie schmerzhaft reibungsfrei diese Sauberkeit ist, wie weit der Schmutz unserer hypermodernen Kultur bereits in monoton-kreisenden Achterbewegungen aus unserem Sichtfeld gekehrt wird.
In einer ökologischen Kultur jenseits der Moderne werden wir uns der anderen Seite der Reinheitsräume, den Wastelands und toxischen, nach jeder seltenen Erde ausgelutschten Landschaften, annehmen müssen. Auch in ihnen werden wir Seßhaftigkeit erproben müssen um Lebensformen jenseits der in ihrer Reinheit zerstörerischen Moderne zu erfinden.
Die Protagonistinnen in How to protect your internal ecosystem? scheitern an diesem Übergang, genau weil sie in den Innenräumen der modernen Technologie gefangen bleiben: selbst nach dem Kollaps bleibt ihnen nichts übrig, als dasselbe nochmals von Neuem zu beginnen – ihnen fehlt das Vokabular für den Übertritt in die andere Zone. Doch sie scheitern nur, damit wir – auf der anderen Seite der Bühne – es besser machen können. Nach Miriam Schmidtke’s Stück haben wir alle ein Gefühl dafür, wo die verschmutzende Vernetzung zu viel geworden ist und andere Formen des Lebens die einzigen des Überlebens sein werden.

Dienstag, 8. Oktober 2019

Philosophy Unbound will happen in Brussels

I am very happy to announce that Philosophy Unbound will, after Vienna, Berlin and New Delhi, spread to its fourth city: Brussels!

Find the Call here and the poster below ... and see you there in December!


Image credits: Peter Jacquemyn

Mittwoch, 2. Oktober 2019

"Zones narratives. Comment les récits composent-ils des mondes?" conference & exhibition, 7-11th of October 2019 @ Brussels

This autumn I am fully Brussels-based and next week I'll be participating at the conference and exhibition "Zones narratives. Comment les récits composent-ils des mondes ?" at ERG and ULB. Together with Thibault Galland I will be moderating the session with Uriel Orlow and Sheila Sheikh.


More information can be found here.